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Gisbert L. Brunner

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Uhren in Zeiten wie diesen

Die Pandemie schlägt Wellen. Auch in der Uhrenindustrie. Das jedoch hält viele Marken nicht davon ab, auch im Virus-Frühjahr 2021 spannende Mechanik-Neuheiten vorzustellen. Auf der folgenden Seite finden Sie eine kleine Auswahl.

Stossfestes aus Schaffhausen

Sie hält mächtig viel aus, die neue IWC „Big Pilot’s Watch Shock Absorber XPL“ mit innovativem 44 Millimeter „Ceratanium“-Gehäuse. Möglich macht es das während acht Jahren entwickelte „SPRIN-g PROTECT System“. Bei ihm hängt das Uhrwerk im Inneren der Schale an einer freitragenden Feder. Deren Form und die Verwendung von Bulk Metallic Glass (BMG) bewirken, dass Beschleunigungskräfte von mehr als 30.000 g dem Manufakturkaliber 32115 mit Werkplatte aus einer raumfahrterprobten Aluminiumlegierung nichts anhaben können.

Transparenz gross geschrieben

Saphir ist hart und kratzfest, aber keineswegs unzerbrechlich. Deswegen sollte man das brandneue Hublot „Big Bang Integral Tourbillon Full Sapphire“ auch nicht auf einen Steinboden fallen lassen. Erstmals in der Armbanduhr-Geschichte bestehen sowohl die 42-Millimeter-Schale als auch das Gliederband aus dem vollkommen transparenten Werkstoff. Titan dient zur Fabrikation der Faltschliesse. Um die Zeit kümmert sich bei jedem der nur 30 Exemplare das hauseigene Kaliber HUB6035 mit Mikrorotor-Selbstaufzug, 72 Stunden Gangautonomie und Tourbillon.

Kalendarische Ewigkeit

Einmal mehr in ihrer 27-jährigen Geschichte erfährt die Familie der 1994 lancierten „Lange 1“ tickenden Zuwachs. Erhältlich ist die neue „Lange 1 Ewiger Kalender“ unlimitiert in Rotgold. Ausserdem fertigt A. Lange & Söhne 150 Exemplare in Weissgold an. Ihr Automatikkaliber L021.3 besteht aus 621 Komponenten. Rein theoretisch bedürfen das springende Grossdatum, die retrograde Wochentaganzeige, der peripher drehende Monatsring und die digitale Schaltjahresindikation im Februar 2100, die Mondphasen erst nach 122,6 Jahren einer manuellen Korrektur.

Uhr zum Schutz der Wattenmeere

Wer sich eine der 2009 stählernen „Aquis Dat Watt“ von Oris ans Handgelenk schnallt, leistet damit einen Beitrag zur Erhaltung des Wattenmeers. Die Limitierung resultiert aus der Tatsache, dass die UNESCO diesen malerischen Landstrich vor den Küsten Dänemarks, Deutschlands und Hollands 2009 zum Weltkulturerbe deklarierte. Für sichere Watt-Wanderungen besitzt die Automatik-Armbanduhr mit 43,5 mm Durchmesser am Zifferblatt eine ausgeklügelte kombinierte Mondphasen-Gezeiten-Indikation. Der zugehörige Zeiger rotiert in 29,5 Tagen um seine Achse.

Den Glücklichen schlägt jede Stunde

Deutsches Design und Schweizer Uhrmacherkunst finden in der MeisterSinger „Bell Hora“ zu klangvoller Synthese. Diese Armbanduhr, Durchmesser 43 mm, bringt akustisch zum Ausdruck, dass dem Glücklichen jede Stunde schlägt. Wenn 60 Minuten verstrichen sind, lässt ein kleiner Hammer den unter dem Zifferblatt angeordneten Gong erklingen. Per Knopfdruck kann man der vom eidgenössischen Automatikkaliber Sellita SW200 angetriebenen Mechanik natürlich auch wieder Stille verordnen.

Tickender Silberling

Keine Frage: Im Zusammenhang mit Uhrengehäusen wirkt Silber polarisierend. Bekanntlich neigt das Edelmetall zum Anlaufen. Ausserdem ist der Werkstoff mit 70 Vickers nicht sonderlich hart. Trotzdem hat sich Tudor entschieden, die bis zu 20 bar wasserdichte 39-Millimeter-Schale der neuen „Black Bay Fifty-Eight 925“ aus hochwertigem Sterlingsilber zu produzieren. Über die verwendete Legierung legt die Manufaktur eisernes Schweigen ab. Neu ist ein Sichtboden, hinter dem die Manufaktur-Automatik MT5400 tickt. Für sicheren und komfortablen Halt am Handgelenk sorgt ein französisches Textilband.

Photos Copyrights: © IWC, ORIS; Hublot, A. Lange & Söhne, Meistersinger, Tudor

Lohnende Investments

IN DEN HERZSCHLAG DER MENSCHLICHEN KULTUR

Wahre Uhrenliebhaber schwören auf tickende Mechanik, den Herzschlag der menschlichen Kultur. Nur sie gewährleistet prinzipiellen Werterhalt. Als spekulative Anlageobjekte zur kurzfristigen Gewinnmaximierung taugen freilich nur wenige Armbanduhren aus aktueller Produktion. Der Grund: Alles, was sich beim Fachhandel kurzfristig beschaffen lässt, kann beim Verkauf höchstens den Einstandspreis bringen. Und selbst das nur mit sehr viel Glück. Anders sehen die Dinge bei perspektivischer Betrachtung aus. Allein schon wegen steigender Lohn- und Materialkosten werden Armbanduhren mit schöner Regelmässigkeit teurer. Beredtes Beispiel ist der legendäre Omega „Speedmaster Professional“. Von 1993 bis 2017 ist der Publikumspreis für die so genannte „Moonwatch“ mit Handaufzugs-Chronographwerk um circa das 3,3-fache gestiegen. Ähnlich verhalten sich die Dinge bei allen Klassikern fürs Handgelenk. Angefangen beispielsweise bei „Lange 1“ von A. Lange & Söhne über „Reverso“ von Jaeger-LeCoultre bis hin zur „Nautilus“ von Patek Philippe.

Freilich gibt es auch aktuelle Shootingstars, die, weil entweder streng limitiert oder aber ausgesprochen schwer, will heissen mit langer Wartezeit zu bekommen, eine unverzügliche Vermehrung des eingesetzten Kapitals versprechen. Aber wer trennt sich denn schon von einem derartigen Prachtstück, wenn man es am Ende mit reichlich Fortüne oder guten Beziehungen ergattert hat.
Fünfmal so lange wie üblicherweise dauert allein die Herstellung des Gliederbands der tiefschwarzen Royal Oak von Audemars Piguet. Grund für die zeitaufwändige Produktionsdauer ist leichte, antiallergische Keramik. Der harte Hightech-Werkstoff zeigt allem, was Kratzer machen möchte, die kalte Schulter. Am ausdruckstarken Kunstwerk mit ewigem Kalender, astronomischer Mondphasenindikation und Wochenanzeige können sich vorerst nur 100 Kunden erfreuen. Mehr Gehäuse und Bänder kann die Familienmanufaktur derzeit übers Jahr beim besten Willen nicht produzieren. Auf einen harten Boden sollte das Objekt mit der flachen Manufaktur-Automatik 5134 tunlichst nicht fallen. Der Werkstoff ist spröde und kann deshalb brechen.
Sollten die weltweit nur 50 Eigentümer der „LAB-ID Luminor 1950 Carbotech 3 Days“ während der ersten 50 Jahre nach dem Kauf ein Problem mit ihrer Hightech-Armbanduhr haben, liefert Panerai kostenlos eine neue. Das 49 mm grosse „Carbotech“-Gehäuse aus PEEK-Karbonfaser schützt ein Manufaktur-Handaufzugwerk mit drei Tagen Gangautonomie und rückwärtiger Gangreserveanzeige. Unter anderem dank Karbon kommt das Automatikkaliber ohne die üblichen flüssigen Schmiermittel aus. Silizium ist der Werkstoff für Ankerrad und Anker. Schliesslich findet Kohlenstoff auch beim tiefschwarzen Zifferblatt im Panerai-typischen Sandwich-Aufbau Verwendung.

2016 zelebrierte Patek Philippe den 
40. Geburtstag der sportiven „Nautilus“. Ihr Design stammt von Gérald Genta. Als die stählerne Ikone, Referenz 3700/1A, 1976 zum Preis eines Kleinwagens in den Handel gelangte, war sie alles andere als ein durchschlagender Erfolg. Das lag vielleicht auch an der polarisierend wirkenden Werbung. Einen grossen Schritt in die Zukunft brachte das 30. Jubiläum im Jahr 2006. Durch den Sichtboden des dreiteiligen Stahlgehäuses der 40-Millimeter-Referenz 5711/1A zeigte und zeigt sich das tickende Innenleben in Gestalt des hauseigenen Automatikkalibers 324 SC. Für diese Armbanduhr führen Händler Wartelisten. Am Parallelmarkt wird deutlich mehr bezahlt als der offizielle Preis. Aber Thierry Stern denkt gar nicht daran, die Produktion aufzustocken.
1967 erhielt das Stahlgehäuse der „Submariner“ ein patentiertes Heliumventil. Und damit war die bis 122 bar wasser-
dichte „Sea-Dweller“ geboren. Das Unterwasser-Instrument richtete sich in erster Linie an Profi-Taucher. Zum 50. Geburts-
tag präsentiert Rolex eine neue 43-Millimeter-Version mit kratzfester Cerachrom-Drehlünette. Das Automatikkaliber 3235 mit beidseitig wirkendem Rotoraufzug und 70 Stunden Gangautonomie schützen 14 Patente. Pro Tag weicht die ganze Uhr maximal -2 und +2 Sekunden von der Atomzeit ab. Die weltweite Garantie erstreckt sich über fünf Jahre. Bände spricht die Begehrlichkeit der Referenz 126600. Rolex müsste mehr produzieren, tut es aber ganz bewusst nicht.

Die Uhr-Revolution des 21. Jahrhunderts, vorgestellt am 14. September 2017 von Zenith, besitzt mehrere Gesichter. Und sie macht das obsolet, was Christiaan Huygens 1675 als Gangregler für tragbare Zeitmesser entwickelte: Unruh und metallene Unruhspirale. Die Zukunft gehört dem monolithischen, nur 0,5 mm hohen Sémon Oszillator. Das komplex anmutende, aus monokristallinem, temperaturstabilisiertem Silizium gefertigte Bauteil ersetzt nicht weniger als 31 mechanische Komponenten, oszilliert mit 15 Hertz, widersteht selbst stärksten Magnetfeldern und gewährleistet täglich maximal +/- eine Sekunde Gangabweichung während 48 Stunden. Trotz Hochfrequenz läuft das aus 148 Komponenten assemblierte Automatikwerk nach Vollaufzug 60 Stunden am Stück. Insgesamt werden weltweit nur zehn Uhrenliebhaber die „Unique Pieces“ einer Spezial-Edition der „Défy Lab“ mit nicht minder revolutionärem Gehäuse aus „Aeronith“, dem weltweit leichtesten Aluminium-Komposit-Werkstoff am Handgelenk tragen können. Die Frage nach dem Wertzuwachs stellt sich somit nicht.

 

 

 

 

 

ILLUSTRATION: HILBRAND BOS

Photos Copyrights: Hilbrand Bos, Audemars Piguet