Die Geschichte Sergei Polunins ist der Stoff, aus dem brillante Filme sind. Der Dokumentarfilm „Dancer“ zeichnet das Porträt des wohl begnadetsten Tänzers der Gegenwart, der mit 20 Jahren alles erreicht hatte und dann abstürzte. Eine beeindruckende Geschichte über Aufstieg, Fall und Wiedergeburt.

In der Ballettwelt ist Sergei Polunin ein Star. Keiner springt so hoch wie er, so elegant, so ausdrucksstark und mit einer brillanten Technik, die die Schwerkraft in ihre Grenzen verweist. Seine Geschichte? So bewegend, wie es sich selbst Hollywood nicht hätte besser ausdenken können.

Das Wunderkind

Es ist die Geschichte eines Wunderkindes. Sergei Polunin wurde am 20. November 1989 in einfachsten Verhältnissen in der Ukraine geboren und schon früh fiel seiner Mutter auf, dass er sich eleganter bewegte als andere Kinder. Im Alter von vier Jahren begann er zu trainieren – zunächst als Kunstturner, dann als Tänzer. Gesegnet mit einem einzigartigen Talent, überstrahlte der kleine Sergei schon bald alle anderen. Sein Ziel: einmal der weltbeste Tänzer zu werden. Dank eines Stipendiums ging er mit 13 Jahren an die legendäre Royal Ballett School in London, wo er weit weg von seinen Eltern alleine lebte. Tanzen, schlafen, tanzen, so beschreibt er die Zeit, in der nicht Schmerz, sondern alleine die Perfektion zählte. Auf seinen Schultern – die Last der Hoffnung seiner Familie, die alles in seine Ausbildung investierten.

Der Weg an die Spitze

Seine Karriere? Ein vermeintliches Märchen. Nach seinem Abschluss im Jahr 2007 wird er Gruppentänzer im Ensemble des Royal Theaters, 2008 Halbsolist, 2009 Solist, 2010 erster Solist – und damit der jüngste Prinzipal, den das Ensemble je hatte. Sergei Polunin war an der Spitze angekommen – und einsam. Das für ihn so leere System der Tanzwelt lässt ihn ebenso straucheln wie die Erkenntnis über seine verlorene Kindheit und sein von Beherrschung geprägtes Leben. Das Ventil platzt und Sergei Polunins Absturz beginnt. Alkohol- und Drogenexzesse, Selbstverletzungen, verpasste Proben und zahlreiche Tätowierungen sind die Bilanz einer Abwärtsspirale, die mit einem grossen Knall endet, als er im Januar 2012 spontan seinen Vertrag kündigt. „An diesem Tag“, erinnert sich der begnadete Tänzer heute, „habe ich mich zum ersten Mal frei gefühlt“. Erst im Sommer des gleichen Jahres tauchte er wieder auf – als erster Solist am Stanislavsky und Nemirowich-Danchenko Music Theatre in Moskau, das ihm neue Entfaltungsmöglichkeiten bot. Doch an seinem Wunsch, mit dem Tanzen für immer zu brechen, änderte auch dies nichts.

Die Wiedergeburt

Den Wendepunkt brachte ein Anruf des Fotografen David Lachappell, der Sergei 2014 zu Dreharbeiten auf Hawaii überredete. Eigentlich hätte es sein letzter Tanz werden sollen, doch am Ende wurde es ein neuer Anfang. „Während der neun Stunden Dreharbeiten zum Tanzvideo ‚Take me to Church’“, so Polunin, „wurde mir klar, dass ich das Tanzen nicht ganz aufgeben konnte.“ Mittlerweile tanzt er wieder als Gastsolist klassisches Ballett, versteht sich aber heute vor allem als freischaffender Künstler und Schauspieler. ⁄

Photos Copyrights: Johan Persson

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