Popstar Jack Savoretti sucht nach dem Tod seines Vaters auf dem Album «Miss Italia» seine italienischen Wurzeln.
Die meisten Menschen träumen in ihrer Muttersprache, aber bei Ihnen ist es weder Englisch noch Deutsch oder Polnisch, sondern Italienisch …
Das ist erst so, seitdem ich dieses Album gemacht habe. «Come Posso Racontare», in dem ich davon singe, ist das einzige Lied, das ich bereits geschrieben hatte, als mein Vater gestorben ist. Seine Reaktion gab mir das Vertrauen, nach seinem Tod «Miss Italia» zu machen. Diese existenzielle Erfahrung brachte mich dazu, mich ganz generell mehr mit meinen italienischen Wurzeln zu beschäftigen.
Wie ist «Come Posso Racontare» entstanden?
Ich glaube, in diesem Fall war es eine Art Vorahnung. Wobei ich solche Songs schrecklich finde. Du schreibst ein Trennungslied und zwei Monate später passiert es wirklich. Innerlich weisst du eben viel mehr, als dir bewusst ist. Unsere Sinne stumpfen ab, weil wir so viel Ablenkung haben. Unsere Intuition könnte uns mehr sagen. Ich hatte vorher schon mehr über Italien zu träumen begonnen, und dann hat dieses katastrophale Ereignis meine Neugier auf mein Vaterland explodieren lassen.
Weshalb nicht früher?
Vorher war meine Beziehung zu Italien durch meinen Vater definiert. Als dieser Anker weg war, musste ich herausfinden, was mich sonst noch mit dieser Kultur verband. Ich beantragte sogar den italienischen Pass. Zwei Monate nach der Fertigstellung dieses Albums bekam ich ihn per Post. Ein seltsamer Moment, da ich früher nie in Erwägung gezogen hatte, auch noch Italiener zu werden.
Fühlten Sie sich mit dem Tessin enger verbunden?
Nun, ich habe nie in Italien gelebt, während Carona, oberhalb des Luganer Sees, mein Zuhause war und später der Ort, wo sich unsere Familie getroffen hat. Nur meine Sommerferien habe ich immer bei den Grosseltern in Ligurien verbracht.
Wie reagierten Ihre Eltern auf Ihre musikalische Karriere?
Meine Mutter hatte mir meine erste Gitarre geschenkt und mein Vater war der Erste, der meine Songs kritisierte. Er brachte mir bei, das nicht persönlich zu nehmen, sondern professionell. Das ist sehr wichtig in dieser Branche, wo du viele schreckliche Dinge über dich liest. Dagegen liebt meine Mutter alles, was ich tue. Ich könnte mich übergeben und sie hielte mich für ein Genie. (lacht) Sie ist in dieser Hinsicht die perfekte jüdische Mutter!
Wie gehen Sie damit um, falls das Album in Italien nicht nur positiv aufgenommen wird? Immerhin sind es sehr persönliche Songs.
Ich hoffe, dass es auch Kritik ernten wird! Sonst wäre es flach. Ich bin auch nicht so vermessen, mich für einen grossartigen italienischen Songschreiber zu halten. Ich hoffe einfach, dass die Leute neugierig sind und sich ihre eigene Meinung bilden.
Sie haben mit Zucchero eine neue Version von «Senza Una Donna» aufgenommen, das schon in seiner Version mit Paul Young ein Hit war. Ein PR-Schachzug?
Das Duett hat sicher geholfen, um Werbung für das Album zu machen, aber es war nicht meine Idee. Nachdem ich Zucchero für einen englischen Radiosender interviewt hatte und wir uns sehr gut verstanden hatten, rief er mich an, als er in London drei Konzerte gab. «Wollen wir eine Single zum 30-jährigen Jubiläum von «Senza Una Donna» machen und den Song nachher in der Royal Albert Hall singen?»
Kannten Sie das Lied überhaupt?
Klar, «Senza Una Donna» weckt bei mir schöne Kindheitserinnerungen. Es war ein Lieblingslied meiner Mutter. Sie liess es immer laut laufen, wenn sie mich mit dem Auto in die Schule brachte. Durch seine Zweisprachigkeit wird es helfen, meine britischen Fans zu den rein italienischen Songs hinzuführen.
Woher kommt der Titel des sommerhitverdächtig groovenden «Bada Bing, Bada Boom»?
Im Englischen ist das ein Ausdruck, den man einsetzt, um zu sagen: «Das ist es! Wir haben es geschafft.» Wie «Supercalifragilisticexpialidocious» bei Mary Poppins. Die Wendung fiel mir ein, als ich mit Co-Songwriter Miles Kane, dem grossartigen Gitarristen von The Last Shadow Puppets, nach einem Refrain suchte.
Sie spielten in Ihrer Jugend beim FC Lugano. Wären Sie lieber Profifussballer als Popstar geworden?
Fussball war schon immer meine Leidenschaft, aber mit 13 oder 14 hörte ich auf, als aus dem Spiel Ernst wurde. Andere Dinge waren mir wichtiger, wobei die Musik erst später kam. Fussballfan bin ich trotzdem geblieben, für den FC Genua und Italien – sogar bei einem Spiel gegen England. Ich freue mich schon auf die Euro!
Welche Gedanken haben Sie sich anlässlich Ihres 40. Geburtstags gemacht?
Ich denke, mit dem Älterwerden verändern sich deine Werte, deine Verantwortlichkeiten. Du versuchst mehr, dich und die Menschen, die du liebst, glücklich zu machen, und schaust weniger auf andere. Deshalb ist «Miss Italia» eines der wichtigsten Alben, die ich je gemacht habe. Für mich.
Biografie
Jack Savoretti wurde am 10. Oktober 1983 als Sohn eines italienischen Vaters und einer deutschpolnischen Mutter in London geboren. Nach seiner Jugend im Tessin kehrte er nach England zurück, wo er 2006 seine erste Single veröffentlichte. Der Durchbruch gelang ihm 2015 mit dem vierten Album «WRITTEN IN SCARS» und dem Hit «Home», die letzten beiden «Singing To Strangers» und «Europiana» erreichten sogar Platz eins. Die Lieder auf «Miss Italia» hat er erstmals auf Italienisch geschrieben. Savoretti ist mit der Schauspielerin Jemma Powell verheiratet, hat drei Kinder und lebt in England.
Photos Copyrights: Jack Savoretti, Chris Floyd