Anschauungen eines Katers

Wie immer, wenn in meinem Leben etwas so gar nicht im Lot ist, sitze ich am Fenster unserer noblen Luxusliegenschaft und starre fragend in den Sternenhimmel. Was ist mit der Welt los? Was geht hier ab? Doch ausser einem atemberaubenden Sternenrausch hat das Himmelszelt keine Antwort auf die Fragen eines Sinn suchenden Katers.

Wer versalzt mir die Suppe und hinterlässt bittere Geschmacksnoten in meinem bisher so privilegierten Leben. Wo ist das schöne, unbeschwerte Leben geblieben? Wo? Die Menschheit ist gespalten in Gut und Böse, Schwarz und Weiss, laut und stumm, Arbeitswillige und -suchende, Raser:innen und Bremser:innen, Impfbefürworter:innen und -gegner:innen. Es gibt kein Dazwischen mehr, es fehlen die Schattierungen, die Zwischentöne. Kann man sie überhaupt noch erkennen, die Grautöne in unserer Gesellschaft? Seit zwei Jahren zwingt uns eine Pandemie in die Knie, die Wirtschaft liegt am Boden und erholt sich nur langsam. Nach wie vor bestimmen Viren und immer noch Masken, mit zwischenzeitlich nervenden Regeln und menschlichen Tragödien, unseren Alltag. Politikverdrossenheit greift um sich. Ein Skandal jagt den anderen. Das Vertrauen in unsere Volksvertreter ist nahezu bei null, wenn die Um- fragen nicht stimmen, werden sie frisiert, verbogen oder mit falschen Bewertungen verschönert. Urwälder brennen, die Weltmeere ersticken im Plastikmüll, die Polkappen schmelzen und täglich sterben über hundert Tierarten unwiederbringlich aus, weil Profit- und Machtgier um sich greifen.

Was ist mit der Menschheit passiert? Was war der Auslöser? Welches Chromosom fehlt? Die Welt wird untergehen, wenn der Menschheit das Vertrauen fehlt, dass sie auch morgen noch lebenswert ist. Wie können wir die Kurve kratzen und was hält die Welt wirklich noch am Laufen und was bringt den Puls wieder zum Schlagen? Ich suche in den Himmel starrend nach Antworten, aber das Universum schweigt. Stille. Pure Stille. Plötzlich nehme ich im Garten ein zartes Rascheln wahr. Ich sehe einen magischen Schatten an der Mauer, der schnell aus meinem Augenkegel verschwindet. Leises, vorsichtiges Vorantasten im herbstlich feuchten Laub. Fast schon glaube ich, dass ich mich geirrt habe, da dringt ein sanfter, aber unglaublich betörender Duft zu meiner Nase empor und steigert sich zu einem Geruchsorkan, der eindeutig und doch schwer zuordenbar ist. Meine Schnurrhaare vibrieren, meine Lauscher sind auf Empfang gestellt, der Schwanz peitscht unaufhörlich hin und her. Was passiert hier? Ich bin hellwach und doch einer betörenden Ohnmacht nahe. Ist das die Antwort des Universums oder ein Zeichen vom Kosmos? Da kriecht langsam der Mond über die Dachkante und ein Lichtstrahl fällt in den nächtlichen Garten. Dann sehe ich sie. Sie sitzt wie eine Madonna aufrecht auf der Steinmauer, elegant, engelsgleich und gar nicht versteckt, im Lichtkegel des Mondes. Unerträglich langsam dreht sie den Kopf und sieht mich mit einem sanften Augenaufschlag direkt an. Ihr Blick hält mir stand. Sie erhebt sich und dreht sich langsam zur Dunkelheit des Gartens. «Nein nicht weggehen», schreit jede Faser meines Körpers, doch meine Stimme bleibt stumm. Sie dreht sich noch einmal um, blickt herausfordernd und in Sekundenbruchteilen ist der Spuk vorbei. Wie ein Bann fällt die Schockstarre von mir ab. Ich strecke meinen Kopf durch die Katzenklappe der Terrassentür, daraus wird ein kühner, aber eleganter Hechtsprung, tauche in die Finsternis ein und folge der Duftspur, die mir den Weg zum einzigen weist, was die Welt weiterdrehen lässt. Nämlich Liebe. Vielleicht wird die Welt untergehen – irgendwann – aber heute Nacht noch nicht! Miauuuu!

*) In meinen Erzählungen spreche ich natürlich alle Geschlechter an (m/d/w).

 

Illustrationen Copyrights: Adam´s Tomcat, Manuela Dona

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