BERUF: RENNFAHRER.

Sie kennen Karl Wendlinger nicht? Das ist typisch Er. Der Österreicher galt zu Beginn seiner Rennsportkarriere vor über 30 Jahren als aussergewöhnlich talentiert. Und als aussergewöhnlich schweigsam. Um seine Person hat er nie gross Aufhebens gemacht. Das ist schade. Dürfen wir vorstellen: Karl Wendlinger. Ein moderner Driver und Gentleman.

Rückblende. Belustigtes Glucksen unter den männlichen Kollegen: «Du willst Karl Wendlinger interviewen? Dann mal viel Spass.» Was die Herren der schreibenden Zunft mir vor fast 30 Jahren zwischen den Zeilen mitteilen wollten, war, dass man dem hoffnungsvollen Piloten nachsagte, ihm jedes Wort aus der Nase ziehen zu müssen. Ein schwerer Fall. Ich habe mich damals dennoch im November 1989 auf den weiten Weg gemacht, Karl Wendlinger in Macau zu treffen, wo er einen Lauf der Formel-3-Meisterschaft bestritt, einen Stadtkurs, einer von denen, die Niki Lauda, Landsmann meines Interviewpartners, mal als gleichbedeutend mit «U-Boot Fahren in der Badewanne» verglich. Karl startete damals mit dem Marko RSM Team (dahinter verbirgt sich Dr. Helmut Marko, der heute das Red Bull Formel-1-Team berät und für die Fahrerausbildung zuständig ist) mit einem Formel-3-Auto, in dem ein Alfa-Romeo-Motor steckte. Im Starterfeld waren noch andere klingende Namen der Motorsportzukunft: Mika Häkkinen, Alessandro Zanardi, Gianni Morbidelli, Bertrand Gachot, Heinz-Harald Frentzen und auch Michael Schumacher. Alle, inklusive Karl, schafften es nicht, in den engen Gassen der portugiesischen Enklave das Rennen zu Ende zu fahren. Wendlinger wurde trotzdem Deutscher Meister der Formel 3 in dieser Saison aufgrund seiner hervorragenden Ergebnisse vorher. Wendlinger. Nicht Frentzen, der wurde 2. Und nicht Schumacher, der wurde 3.

AUSTRIAN CONNECTIONS

Das Interview sollte zu einem der eindrücklichsten meiner gesamten schreiberischen Laufbahn werden. Ich traf einen tiefenentspannten 21-Jährigen, der den ganzen Rummel um sich völlig gelassen nahm. Jedes Wort aus der Nase ziehen? Man musste nur die richtigen Fragen stellen. Der als «Kronprinz Karl» und «neuer Lauda» (für die Chronisten: Niki Lauda ist ein Österreichischer Motorsportler, dreimaliger F1-Weltmeister und beendete seine aktive Fahrer-Karriere 1985. Ihm gehören 10 Prozent des Mercedes AMG Petronas F1-Teams, derzeit erholt sich der bald 70-Jährige von einer Lungentransplantation, nötig aufgrund der Spätfolgen seines Horrorcrashs 1976 am Nürburgring, wo er beinahe im Auto verbrannte und Massen an toxischen Dämpfen einatmete) betitelte Sportler erzählte bereitwillig von seiner Kindheit, seinem Leben, seinen Welten, seinen Träumen. Davon, dass seine Mutter Traudi spätestens seit «der Bub mit vier Jahren auf seinem ersten Motorrad gegen die Tür der Werkstatt fuhr und durch die Scheibe flog» wusste, dass er nicht aufzuhalten sei. Die Eltern besassen eine Autowerkstatt zu der Zeit, Vater Karl Senior fuhr selber 20 Jahre Rennen, der Apfel fällt nicht weit von der Hebebühne. Mit 15 bekam Karl Junior das erste Kart, fuhr in der POP-Juniorenklasse, wurde 1984 Süddeutscher Kart-Juniorenmeister, 1986 Österreichischer Kart-Vizemeister. Ein Talent, das eben auch dem Österreicher Dr. Marko auffiel, der früher selbst Formel 1 fuhr und in Graz ein Hotel besass. Zusammen mit Formel-1-Pilot Gerhard Berger, ebenfalls Österreicher, der den jungen Freund mit Tipps versorgte, half er, die Karriere Karls zu forcieren.

SCHNELLE SCHULE

Zum Aufbauprogramm gehörte ein Testvertrag mit Mercedes. L-Team nannten sie es damals, drei Nachwuchspiloten wurden bei der Schweizer Rennwagenschmiede von Peter Sauber in der Sportwagenweltmeisterschaft Gruppe C drei alten Hasen an die Seite gestellt. Karls Kollegen: Fritz Kreuzpointner und Michael Schumacher. Der «Lehrer»: Motorsportlegende Jochen Mass. Ab da ging’s zügig voran mit der Karriere, das Experiment in der Gruppe C war erfolgreich, Wendlinger gewann sogar 1990 ein Rennen der World Sportscar Championship in Spa. Der stille Typ fiel auf, gewann im nächsten Jahr erneut und empfahl sich für die Formel 1, noch Ende Saison 1991 fuhr er sein Debut beim Team Leyton House am Grand Prix von Japan.

LEBEN ALS RENNFAHRER

Schnitt. Spätsommer 2018. Dass Karl Wendlinger in Arosa am Arosa ClassicCar Event vor mir steht, ist irgendwie nicht selbstverständlich. 1994 verunglückte er beim Training zum Formel-1-Rennen in Monaco schwer. An einem Rennwochenende, das sowieso schon nicht unter business as usual gelaufen war. Am F1-Rennwochenende zuvor in Imola hatte am Freitag der Brasilianer Rubens Barricello einen gigantischen Unfall wie durch ein Wunder nur leicht verletzt überlebt. Am Traingssamstag aber verunglückte Roland Ratzenberger, ein Landsmann von Karl, tödlich und am Renntag selbst Ayrton Senna. Ebenfalls tödlich. Der ganze Formel-1-Zirkus stand elf Tage später in Monaco immer noch unter Schock und musste jetzt zusehen, wie Karl Wendlinger mit seinem Sauber Formel-1-Boliden in einer Absperrung einschlug. Der, der immer gedacht hatte «Mir passiert nix!» überlebte den Unfall zwar, wurde aber mit seinen massiven Hirnschäden in ein künstliches Koma versetzt. Und findet rückwirkend beurteilt nur langsam zurück ins Leben. Karl selbst war die Ungeduld in Person. Wie ihn schon als Kind ein Flug durchs heimatliche Garagenfenster nicht stoppen konnte, wollte er auch jetzt nur eines: so schnell wie möglich wieder ins Auto. «Von aussen betrachtet war es ein Schmarrn damals», rekapituliert Wendlinger heute, «im Juni, also nur wenige Wochen nach dem Unfall, habe ich meine Eltern noch nicht wiedererkannt und im September bereits wieder im Rennauto gesessen.» Kundige Therapeuten, allen voran Professor Willi Dungl († 2002) leisteten ganze Arbeit, spätestens seitdem spult Karl brav sein Fitnessprogramm ab, früher hat er Sport als solches nicht gern gehabt. Sein Team hatte dem Rastlosen den Platz im Boliden frei-gehalten. «Aber meine Konzentrationsfähigkeit war schlecht in 1995», gibt Karl Wendlinger heute zu. Und sein Teamkollege beim Sauber Mercedes Formel-1-Team, Heinz Harald Frentzen, fuhr die besseren Rundenzeiten, dazu kam noch, dass der grossgewachsene Wendlinger einen Gewichtsnachteil gegenüber dem kleineren Frentzen hatte. Die Formel-1-Laufbahn ging zu Ende, Karl stieg um auf Tourenwagen. «1997 konnte ich mein komplettes Potenzial wieder abrufen», sagt Karl Wendlinger, das ist jetzt über 20 Jahre her. Jahre, in denen er in diversen Motorsportmeisterschaften weltweit fuhr, Jahre, in denen er auch seine langjährige Freundin Sophie geheiratet hat und zwei Kids in die Welt setzte, der Sohn ist heute 18, die Tochter 21 Jahre alt. Die Wendlinger Jungmannschaft hat nicht das Renn-Gen, der Vater unterstützt sie trotzdem in allem, was sie machen wollen. «Wie meine Eltern mich unterstützt haben», so einfach ist das. Im Fall des Sohnes ist das der Fussball, Jonas Wendlinger spielt beim 1. FC Nürnberg in der Deutschen U19.

BOTSCHAFTER UND GENTLEMAN

Karl Wendlinger ist gesprächig hier in Arosa, kein Vergleich mit dem zurückhaltenden Junior, der er vor fast 30 Jahren war. Er erzählt vom Geschäft seiner Eltern, dass er inzwischen die Werkstatt in Kufstein übernommen hat, und immer noch dort lebt. Er ist angereist als Markenbotschafter für IWC, pilotiert einen Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer des IWC Racing-Teams, Teammitglied ist er allerdings nicht, noch nicht, er ist praktisch ausgeliehen, einen Vertrag hat er mit AMG Mercedes. Zu so einem Event gehören auch Taxifahrten, ein paar Auserwählte durften mit Karl Wendlinger in dem einzigartigen Flügeltürer die über 7 Kilometer lange Bergrennstrecke abfahren. Das Wetter ist schlecht, es schneit und regnet im Wechsel, obwohl es erst Ende Sommer ist, den «Karli» wie ihn seine Fans gerne nennen, kümmert das nicht. Motorsport ist sein Beruf, seine Berufung, niemals wollte er etwas anderes machen. Kommt man nicht ins Grübeln, auch nicht nach so einem eigenen Horrorcrash? «Man hat seinen Weg und da kommt man nicht raus», versucht Karl Wendlinger eine Erklärung und faltet seine 1,85 Meter elegant in den silbrigen Mercedes-Benz Oldtimer. «Aber man kann es positiv gestalten.» Was er zweifelsohne tut.

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Photos Copyrights: © Dörte Welti, Pauli Mathieu Bonnevie, Dörte Welti, Pauli

SPEZIFIKATION DES SL MERCEDES-BENZ 300 SL «GULLWING»

Baujahr : 1955
Motorleistung: 215 PS
Viergang-Schaltgetriebe
Das Auto (und ein Schwestermodell) wird von HK-Engineering in Polling (D) für das Mercedes-Benz Classic Center liebevoll vorbereitet.

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