Auf steinigem Weg Richtung Gipfel
Anatole Taubman (47), der schon in über 100 internationalen Film- und TV Produktionen mitgewirkt hat, ist seit 2010 Botschafter von Unicef Schweiz für schutzbedürftige Kinder. Im Adam-Interview erzählt der Schauspiele auch über die Ups & Downs seiner eigenen Jugend.

Welches war Ihre bisher eindrücklichste Erfahrung als Unicef-Botschafter?
Wenn man für Unicef unterwegs ist, hat man nur eindrückliche Erlebnisse. Besonders betroffen machte mich, was ich in Rumänien gesehen habe, weil es für uns Schweizer quasi gleich um die Ecke ist. Nicht einmal in der Hauptstadt Bukarest funktioniert viel – und auf dem Land, an der Grenze zu Moldawien, noch viel weniger. Das hat mich zutiefst berührt.
Worüber sind Sie erschrocken?
Auf dem Land leben Familien in Häusern, eher Hütten, manche mit Fenstern ohne Scheiben, obwohl die Temperaturen im Winter unter den Gefrierpunkt fallen. Ein Bauer scharte seine sechs Kinder um die Feuerstelle im selbst gebauten Lehmhaus. Die traurigen Augen der Kinder in den Waisenhäusern. Manche hatten das Glück, dass man sie vor den Menschenhändlern und dem organisierten Verbrechen retten konnte, nachdem alkohol- oder drogenabhängige Eltern sie für ein paar Flaschen Wodka und Zigaretten verkauft hatten. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke.


Welches ist Ihre Aufgabe?
Als Spokesperson setze ich mich weltweit für die Anliegen von UNICEF und von verletzlichen Kindern ein, weil mir dies persönlich am Herzen liegt. Ich leiste einen Beitrag, die Öffentlichkeit für Missstände und die Bedürfnisse der Kinder zu sensibilisieren. Auf Feldbesuchen erhalte ich vor Ort einen Eindruck von der Situation der Kinder und der Arbeit von UNICEF. In der Schweiz engagiere ich mich an Veranstaltungen von UNICEF Schweiz, wie z. B. bei Cycling for Children. Ich habe auch die Kinderjury geleitet, welche das Zurich Film Festival zusammen mit UNICEF organisiert.
Wie kommen Sie mit den Kindern in Kontakt?
Bei allen Feldbesuchen mit UNICEF sieht man vor Ort, wie Kinder von der Arbeit von UNICEF profitieren, etwa in Schulen oder bei Programmen im Bereich Kinderschutz. Sie beinhalten immer den Austausch mit Kindern, die direkt von ihrem Leben berichten.
Wie haben Sie Ihre eigene, alles andere als einfache Kindheit verarbeitet?
Ich denke, das ist eine lebenslange Aufgabe, der ich mich seit fünf Jahren intensiver widme. Nach einem medizinischen Notfall im letzten Jahr stand ich plötzlich – Gott sei Dank! – an der wahrhaftigsten Kreuzung meines privaten und beruflichen Lebens. ->
Wie haben Sie Ihre eigene, alles andere als einfache Kindheit verarbeitet?
Ich musste und wollte dringend ändern, wie ich mir und meinem täglichen Leben begegne. Mein innerer Frieden und mein inneres Gleichgewicht sind mittlerweile meine Top-Priorität. Es ist ein steiler, manchmal schmerzhafter und trauriger, aber ehrlicher Weg dorthin. Ich bin dankbar, dass mir Frau, Freunde, Familie, Yoga und Zen helfen. Jeder muss ihn jedoch selbst gehen – und es tut gut, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen .
Nun haben Sie sich wieder eine Wohnung in der Schweiz genommen. Weshalb sind Sie nach Einsiedeln zurückgekehrt?
Brutal gesagt war das Internat des Klosters Einsiedeln mein erstes richtiges Zuhause. Es hat mir Halt und Geborgenheit gegeben. Mit 10, nach dem Tod meines Vaters, musste mich meine Mutter abermals weggeben, diesmal für zwei Jahre in eine heilpädagogische Grossfamilie im Prättigau. Danach kam ich wieder zu ihr nach Zürich. Die 6. Primarklasse ging noch gut, doch im Gymnasium begannen die disziplinarischen Probleme. Einsiedeln wurde meine Rettung und ich packte diese letzte Chance am Schopf. So wurde es mein Zuhause und Präfekt Pater Kassian eine Art Ersatzpapa.
Wie hat das Ihr Leben verändert?
Grundlegend und nachhaltig. Das Lernen begann mir Freude zu machen und ich schaffte die Matura mit einer 5,18 – auf nichts in meinem Leben war ich je so stolz! Nachdem Pater Kassian mir, der sonst immer den Klassenclown spielte, mit 17 im Theaterkurs den alten Shylock in Shakespeares «Der Kaufmann von Venedig» zutraute und man mich in dieser Rolle ernst nahm, wusste ich, dass ich Schauspieler werden wollte.

Geniessen Sie es, jemand anders sein zu können?
Früher war es sicher auch eine Flucht. Was mich unverändert fasziniert, wofür ich brenne und blute, ist die Herausforderung, den Figuren, die im Drehbuch mit Worten beschrieben werden, vor der Kamera Leben einzuhauchen. Und je mehr ich zu mir selbst finde, desto authentischer werde ich als Schauspieler. Ich verstehe mittlerweile total, wenn ein Regisseur sagt: «Anatole, mach einfach gar nichts. Vertraue dir, sei einfach da, sag deinen Text, glaube ihm – und den Rest können die Leute aus deinem Gesicht lesen.»
Der Sohn einer geborenen Wienerin mit slowakischen Gross-eltern und eines Ostpreussen mit russischen und polnischen Grosseltern wurde am 23. Dezember 1970 in Zürich geboren. Nach der renommierten Schauspielschule Circle In The Square in New York arbeitete er zwei Jahre sehr erfolgreich als Model. Seine Vielsprachigkeit und sein unverwechselbares, aber schwer zu schubladisierendes Gesicht ermöglichten ihm, sich zu einem gefragten Charakterdarsteller zu entwickeln. In Marc Fosters James-Bond-Film «Quantum Of Solace» spielte er Elvis, die linke Hand des Oberbösewichts. Taubman ist mit der einstigen Circus-Knie-Mediensprecherin und Ex-«Glanz & Gloria»-Moderatorin Sara Hildebrand liiert und hat drei Kinder aus früheren Beziehungen. 2018 spielt er in «Zwingli» dessen besten Freund Leo Jud und in der 2. Staffel der Netflix-Serie «Dark» den Kernkraftwerk-Bauherr Bernd Doppler. Zudem wird er in «L’Apparition» von Kultregisseur Xavier Giannoli zu sehen sein.
Photos Copyrights: Lukas Schweitzer, UNICEF Mirjam Kluka,