Eine Zugreise im Belmond Royal Scotsman
Tag 1
Eigentlich bevorzuge ich eher Individual-Trips und Single- Expeditionen, aber dieses Mal lasse ich mich auf etwas Neues ein: ein Reisen, das dem Begriff «Reisen» tatsächlich entspricht. An der Waverly Station in Edinburgh erwartet mich ein herzlicher Empfang mit Champagner und Dudelsack, ehe ich den nostalgischen Belmond Royal Scotsman betrete. Ich geniesse das Losrollen des Zuges auf der Aussichtsplattform des luxuriösen «Observation Car» und mit jedem nördlichen Schienenkilometer in Richtung Highlands verabschiede ich mich ein Stück mehr vom Alltag und tauche tiefer ein in das sanfte Grün der sich langsam erhebenden Landschaft. Beim English Afternoon Tea verfliegen dann meine letzten Gedanken an Mails und To-dos. Ich freue mich auf die kommenden Tage.
Tag 2
Welch morgendliche Kulisse! Während sich der Zug Richtung Inverness bewegt und flinke Hände gekonnt meinen Rücken massieren, blicke ich aus dem Spa-Waggon hinaus auf das Farbenspiel des Waldes. Ich verliere mich im Wechselbad von Föhrenblau und Laubbaumgrün. Mehr Entspannung geht nicht. Gerüstet für den Tag geht es mit dem Privatbus zu Cawdor Castle, einem wunderschönen Schloss mit einem noch bezaubernderen Garten. Willkürlich anmutende Blumenkompositionen begrenzen behutsam den dominanten Turm, moosige Böden und Mauern verleihen dem Anwesen einen Hauch von Mystik.

Aber auch Ballindalloch Castle muss man gesehen haben. In dessen weitläufigen Rosengärten kommt selbst beim männlichen Geschlecht Sinn für Romantik auf. Mein Statement: just lovely! Das gilt auch für den «Secret Whisky Cocktail», mit dem wir zurück am Bahnsteig bereits von der Royal Scotsman Crew erwartet werden … Vorbei an Schafherden geht es weiter zum westlichsten Punkt auf der wohl malerischsten Strecke unserer Route. In Kyle of Lochalsh, einem zurückgezogenen Fischerdorf, angekommen, geniesse ich die kontemplative Abendstimmung und kühle Brise vom Meer und mache mich langsam schick für einen genussvollen Abend.
Tag 3
Der frühe Vogel fängt den Wurm. Nach einem ausgiebigen Morgenspaziergang am Hafen geniesse ich meinen ersten Kaffee und den freien Veranda-Blick vom langsam hinausrollenden Zug zurück Richtung Osten. Fjordähnliche Meereszungen schlängeln sich in der aufgehenden Sonne sanft landeinwärts. Hin und wieder verirrt sich ein weisses Haus auf die begrünten Felsvorsprünge. Die ruhige Wasseroberfläche spiegelt die Stille der Natur – und auch jene in mir. Dankbar für diese einmaligen Bilder mache ich mich auf den Weg zum Frühstück, schliesslich braucht es eine Unterlage für die anschliessende Whisky-Verkostung, ohne die ein Schottland-Besuch nur eine halbe Sache wäre. Den Worten des Vertreters der Scotch Malt Whisky Society folgend, taste ich mich vom rauchigen 9-jährigen bis zum sanfteren 23-jährigen Single Malt vor. Ein paar Tropfen Wasser hinzugefügt, machen auch den rauhen Charakter etwas zahmer. Mein Wissen vertiefe ich in der Tullibardine Distillery. Die Aromen des Nationalgetränks sind vielfältig und doch gilt nur eine einfache Regel: «Let the oxygene in, let the alcohol out. Wait and taste.» Ich entscheide mich für den «Big Bad Boy» mit seinen 25 Jahren und ein Cheers auf Schottisch: Slàinte Mhath!
Tag 4
Ich freue mich darauf, etwas völlig Neues auszuprobieren – das Tontaubenschiessen. Optisch aufmunizioniert mit meiner Camouflage-Hose geht es von Boat of Garten mit dem Bus zur Shooting Range. Ich folge den Instruktionen des Profis und stütze die Schrotflinte an Schulter und Wange. Das Gewicht nach vorne auf Angriff verlagert, versuche ich der flinken Tontaube mit dem Gewehrlauf zu folgen. Der erste Schuss geht daneben, die anderen sehen schon besser aus. Es folgen Variationen von Höhe, Richtung und Geschwindigkeit. Die am Boden rollende Tontaube am letzten Schiessstand geht mir leider durch die Lappen. Im urspünglichen Jägerleben würde das bedeuten: kein Hase zum Abendessen. Aber um das leibliche Wohl muss ich mir auf dieser Reise keine Sorgen machen, im Gegenteil. Das Küchenteam zaubert in der kleinen Zugkombüse Tag für Tag die köstlichsten Gerichte und geniesst meine absolute Hochachtung. Auch der letzte Abend in Dundee steht den vorherigen Soirées in puncto Genuss um nichts nach und wird mit Eleganz angekündigt. Bei den Ladies dominiert das kleine Schwarze, die Gents erscheinen im feinen Zwirn – und unser Whisky-Experte ergänzt die internationale Runde stilsicher im landestypischen Kilt. Ob Mann darunter etwas trägt, bleibt weiterhin ein offenes Geheimnis …
Tag 5
Mit ein bisschen Wehmut setze ich mich ein letztes Mal an den mit altem Silber eingedeckten Tisch und blicke durch das Fenster auf das morgendlich feuchte Grün. An den knackig angebratenen Spargel an pochiertem Ei und feinen schottischen Lachs könnte ich mich wirklich gewöhnen. Und auch der frische Smoothie wandert wohl die nächste Zeit nicht automatisch auf meinen Frühstückstisch. Der Zug bewegt sich zurück in Richtung Edinburgh. Nicht nur die Landschaft, auch die Erlebnisse der letzten Tage ziehen an meinem geistigen Auge vorbei. Die Fahrt mit dem Royal Scotsman war ein Reisen im wahrsten Sinne des Wortes – ein langsames und fortwährendes Eintauchen, Einatmen und Geniessen mit dem Weg als Ziel.
Photos Copyrights: Belmond/Matt Hind, Angela Bortenschlager, Scott Powell, Ryan Davies