Gerade eben sind meine Gedanken abgeschweift und ich habe an damals gedacht! Damals … wir waren jung, attraktiv, arrogant, wild und unsagbar geil. Wir haben uns nächtelang herumgetrieben, von Luft und Liebe gelebt und das Leben in vollen Zügen genossen. Hätte mir damals einer von gesunder Küche vorgeschwärmt, hätte ich ihn lauthals in den Wind gelacht.

Nun gut, damals ist ein Weilchen her und aus dem wilden, ungestümen, mit Testosteron vollgeballerten Kater ist ein verwöhnter Villenbewohner geworden, der dem luxuriösen Lebensstil frönt, sich mit Tanzen vor dem Fernseher fit hält und sein Wohlstandsbäuchlein mit «Fine Dining» pflegt. Hm, da müsste ich schon längst etwas unternehmen, wenn ich nicht so enden will wie mein Dosenöffner, der dauernd jammert, dass er nicht mehr in seine Masshemden passt, obwohl er doch extrem diszipliniert is(s)t. Essen soll übrigens der Sex des Alters sein!

Das mit der gesunden Ernährung ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht so abwegig, wenn man irgendwann mal ein betagter Kater werden will. Vitamine, Antioxidantien und Co sind wahre Jungbrunnen.

Plötzlich höre ich meine vernünftige innere Stimme: «Du bist, was du isst! Steh auf du faules Katzenvieh und tu was für deine Gesundheit und dein Wohlbefinden. Du bist auf dem Highway to Hell!»

Ja, ja! Gemächlich drehe ich mich auf meiner Luxus-Gartenliege, damit meine Pfoten im überdachten Pool Abkühlung finden. Ich sehe verträumt über das üppige Kräuterbeet, in die dichte
Baumkrone. Der knallblaue Himmel über mir und meine Gedanken ziehen mit den Wolken. Kochen war schon immer meine Leidenschaft, natürlich nur gehobene Küche mit viel Eiweiss. Gut gereiftes Dry Aged Beef, Fisch und Kaisergranat gehören seit jeher zu meinen bevorzugten Grundnahrungsmitteln. Gemüse und Salat geht meist nur als unvermeidliche Dekoration durch oder in Form einer Prärieauster (Tomatensaft mit rohem Ei!) als Kater-Frühstück nach einer durchzechten Nacht.

Wieder drehe ich mich ächzend auf meiner Liege, die auch schon mal bequemer war.  Ahhhhh, wie herrlich es wäre, wieder jung und knackig zu sein – die angenehme Vorstellung durchströmt mich derart intensiv, dass ich aufspringe, zum Kühlschrank mit integriertem Gewächshaus tappe und ihn in abartiger Geschwindigkeit leerfresse.

In der High-Tech-Küche unserer Upper-class-Villa ist nämlich seit kurzem das ganze Jahr über Frühling, der einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Das Wachsen von Salaten und Kräutern wird ästhetisch in Szene gesetzt und das Ergebnis sind voll erhaltene Nährstoffe und nicht für möglich gehaltene Aromen. Da fällt mir die Werbung mit der grauen Burma-Schönheit ein, wenn ihre Dosenöffnerin ein Petersilienblatt auf den Aludosenfrass platziert – wenn mein Besitzer beim Anrichten so dümmlich lächelnd rumtrödeln würde, müsste ich ihn zur Adoption freigeben.

Nach meiner Fressattacke sitze ich mit weit abstehendem Bauch im blauen Licht der offenen Kühlschranktüre und knabbere missmutig an meinem schlechten Gewissen, während sich ein, intensiv nach Leberpastete und Zwiebel riechender Luftstrom zwischen meinen Beisserchen hindurch den Weg in die Freiheit bahnt. Das war er also, der absolute Tiefpunkt. Ich werde mein Leben komplett ändern.

Ich koche nach wie vor leidenschaftlich. Aber mit Gemüse als Hauptdarsteller und Fleisch in Bioqualität oder nicht überzüchtetem Fisch als Beilage. Ich würze mit taufrischen «Vertical-farming»-Kräutern, entwickle raffinierte Conveniencegerichte für übergewichtige Artgenossen mit gutem Geschmack. Meine vegetarische und vegane Linie läuft ebenso fantastisch wie mein Onlineshop und Rezeptblog. Meine Kochvideos und mein Auftritt in den sozialen Netzwerken sind Kult. Ich sehe fantastisch aus, bin mehr als tüchtig und natürlich mein eigenes Werbe-Testimonial. Meine Kochbücher für den schlanken Kater finden reissenden Absatz. Signiert mit Pfote versteht sich. Die Leser:innen fliegen auf mich, mein Leben ist perfekt.

Dann öffne ich die Augen und sehe immer noch das Kräuterbeet, die dichte Baumkrone über mir und den Himmel, der mittlerweile etwas fahl schimmert. Nun ja – darüber, wie gesund Gemüse mit all der Pestizidbelastung wirklich ist, hat man auch schon allerhand gelesen, aber immerhin arrogant bin ich noch immer in Perfektion. Beim nächsten Vollmond ziehe ich wie damals los und hole mir das «Jung-und-Knackig-Feeling» auf einfache Art und Weise zurück!

… aber jetzt muss ich gleich den Lieferservice ordern und den Kühlschrank füllen lassen. Ok, ein wenig Deko wird auch dabei sein, denn schliesslich strebe ich nach bewusstem Leben und individueller Freiheit …

Copyright Illustration: Manuela Dona

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