Tipps für Naturburschen
Ich bin ein Naturbursch, ein Kater, der bei allem, was er tut, natürlich und nachhaltig denkt. Sei es Business, Fashion, Freizeit oder Ernährung. Auch im Hinblick auf mein Äusseres bin ich seit kurzem ein unbekümmerter, unkomplizierter Kerl. Ich gebe zu, das war nicht immer so, aber das Leben selbst brachte mir den Sinn einer natürlichen Lebensweise eindrücklich nahe!
Immer nur auf seidenen Laken zu schlafen, Essen aus der 5-Sterne-Feinkost und der Alkohol floss in apokalyptischen Strömen. Immer nur vom Feinsten, Konsum war höchster Lebenssinn für mich und meinen Dosenöffner. Ich war es satt, das Leben.
Eines Tages sass ich wohlgenährt und unzufrieden am Fenster und blickte in den Garten unserer Uper-Class Hütte, die wir Heim nannten.
Plötzlich betrat von links ein fremder Kater die langweilige Szenerie des perfekt gestutzten englischen Rasens. Er war jung, selbstbewusst, trug den Kopf stolz hoch und begann unverzüglich mein grünes Reich flächendeckend zu markieren. Die Szene hatte so eine animalische Kraft, dass mir der Mund offenstehen blieb.
Plötzlich blickte er mir direkt in die Augen. Die wilde Freiheit, die mich aus seinem arroganten Blick traf, war fast unerträglich. Sekundenlang fixierte er mich, drehte mir dann provokant langsam den Rücken zu und war mit einem einzigen, geschmeidigen Sprung über die Mauer verschwunden.
Verstört blickte ich in den Garten! Meine Gedanken schweiften zu einer Zeit, als ich es nur kurz im Haus aushielt. Wiesen, Wälder und Seen waren meine Welt, man konnte durchatmen, aktiv sein und ständig Neues entdecken, Frauen lagen mir zu Füssen. Ich war frei!
Das Glücksgefühl dieser Gedanken hallte so intensiv in mir wieder, dass ich augenblicklich beschloss, mein Leben neu zu norden.
Als ersten Schritt gab ich den Begriff „Naturbursche“ in die Suchmaschine und orderte unverzüglich eine grössere Bestellung im Online-Outdoorshop. Von
Boots, Cardigans und Barfussschuhe bis zur 5-Stern-Campingausrüstung wanderte ein nützliches „Outdoor-Must-
Have“ nach dem anderen in meinen virtuellen Einkaufswagen.
Immer weiter schweiften die Vorschläge, die das www mir ungefragt vorlegte, ab.
DIY-Knüpfanleitungen für eine Hängematte, vegan leben ist männlich, die 50 heissesten Sexstellungen des Kamasutra, mit einer Tantramassage zu ungeahnten Höhepunkten …
Ich erstarrte, löschte den Inhalt des Einkaufswagens, gab dem Computer einen hilflos wütenden Stoss und hörte, wie er laut krachend am Boden zerschmetterte. In meinem Kopf lief der Film meines Lebens ab. Was war nur aus mir geworden? Nach der unerträglichen Erkenntnis öffnete ich das Fenster und sprang mit einem geschmeidigen Satz, der die ganze Wildheit meiner Spezies beinhaltete, in den Garten. Eine feine Sommerbrise strich durch mein Fell, es roch nach Erde, Gras, das Leben wartete an der Ecke und stank penetrant nach Feind. Vom Fenster her hörte ich Adam, meinen Dosenöffner, ängstlich rufen: „Was ist denn los mit dir?“
Ich blickte ihn kurz verächtlich an und verschwand mit einem einzigen wilden Sprung über die Mauer. Wenn schon Naturbursch, dann aber richtig!