EIN KATER RÄUMT AUF

Wieder einmal sitze ich stilvoll auf meinem handbestickten Polster am Fenster und blicke in den Garten unserer stilvollen „Upper-class-Hütte“, während ich mir den Luxus gönne, die letzten Tage und Wochen zu reflektieren. Heute spiele ich einmal Tourist in dem Ort, in dem ich wohne. Es gibt Ecken, die ich noch nicht kenne. Ich ziehe einfach los und gehe auf Entdeckungsreise …

Der diesjährige Jahreswechsel hatte es wirklich in sich. Champagner, Kaviar und ein atemberaubendes Feuerwerk, das mich beinahe das Gehör gekostet und in der Folge für ein mattes Fell gesorgt hatte, liessen meinen Stresslevel in den dunkelroten Bereich schiessen. Unsere Bude war brechend voll und laut wie ein Flughafen zu Ferienbeginn. Wie wenig mein Dosenöffner an Achtsamkeit litt, sah man schon daran, dass er nicht wahrhaben wollte, dass die ganze Welt nach Entschleunigung schrie und nicht danach, sich die Bude mit 100 wildfremden Freunden von Freunden vollzustopfen. Ich hasse Lärm und noch mehr hasse ich lärmende pseudofröhliche Menschen. „Kein Mensch ist austauschbar. Jeder besteht aus wunderschönen kleinen Details“, werfe ich, nicht ganz überzeugt in eine Gedankenblase, die über mir schwebt, doch gleich darauf macht es laut „Plopp“, die Vision platzt und ich sehe Adam vor mir, der mit irrem Blick in einem Berg sinnloser Geschenke auf seinem neuen Meditationskissen sitzt und zu „Barry-White-Gesäusel“ mein empfindliches Gehör mit dem nervtötenden Geräusch von quietschendem Zellophan malträtiert.
Ich ahne, wie George Michael sich im Grab umdreht! Ich fahre meine Krallen aus! Warum nur definiert das Wesen Mensch alles und jeden über Materielles?
Was uns von anderen unterscheidet, ist nicht das, was wir bekommen, sondern das, was wir mit dem tun, was wir haben (Nelson Mandela).

Warum hängt er so an diesem ganzen Plunder, wenn es doch nur darum geht, zu lieben und geliebt zu werden.
„Wir kaufen doch nur Sachen, um abzulenken, anstatt Ordnung in unserem Kopf zu schaffen.“

Ich zog die Krallen wieder ein und schnippte mit der Pfote. Statt sich ständig an Materielles zu klammern, sollte man mal stattdessen einen Wüstenlauf machen oder den Dachboden entrümpeln. Plötzlich war alles ganz logisch, wenn er nicht loslassen konnte, ich konnte es!

Ich begann mit dem Entrümpeln im eben erwähnten Dachboden. Generationen von sinnlosen Präsenten, Schachteln mit Fotos, Bücher, die nie gelesen wurden, Kleider, die längst aus der Mode waren, ja sogar Geschenke, die nie ausgepackt wurden, flogen durch die kleine Dachluke in den Garten.

Als ich im Dachboden fertig war, ging es unten weiter. Adams begehbarer Schrank, die Regale und Schränke leerten sich zusehends. Mit jedem Stück, das aus dem Fenster flog, wurde es leichter und leichter in mir drin.

Zum Schluss folgten auch noch Tischdecken, Vorhänge, Kissen und die gesamte Teakholz-Elefantensammlung. Adams ganzer Ballast, der sich über Jahre angesammelt hatte, türmte sich im Garten zu einem ansehnlichen, brennbaren Haufen.

Unser vormals so üppig im Versace-Stil dekoriertes Haus hatte sich zu einer kahlen Mönchszelle verwandelt, die dringend mal wieder ausgemalt gehörte.

Wie in Trance brachte ich das Ding zu Ende, schüttete eine Literflasche Grill-
anzünder auf den ganzen Haufen und machte ein wirklich grosses, befreiendes Lagerfeuer! Ich spürte sie, die Leichtigkeit auf meiner Haut. Ich fühlte mich frei. Loslassen war herrlich! Der frische Wind strich mir durchs glänzende Fell, ich fühlte mich gebraucht!

Die nächste Erinnerung ist Adam, der neben mir steht und händeringend versucht mit dem Gartenschlauch den lichterloh brennenden und qualmenden Haufen zu löschen! Verzweifelt höre ich ihn rufen: „Um Gottes Willen Kater, was hast du gemacht?“
Und ich antworte: „Lass los Kumpel, du wirst um deiner selbst Willen geliebt! Oder etwa nicht?“ Miau!

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