Der enthusiastische Macher!
Der Tessiner Stararchitekt Mario Botta (79) über seinen Neubau des ältesten Thermalbads der Schweiz, das Fortyseven in Baden, und die häufigen Kontroversen um seinen Baustil.
Als Sie 75 wurden, sagten Sie, ein grosses Fest würden Sie erst zu Ihrem 100. Geburtstag machen. Aber die Fertigstellung des Fortyseven haben Sie gefeiert?
Mario Botta: Ja, denn es ist für mich ein wichtiges Projekt – ein Projekt der Reife, nicht des Alters! (Lacht) Es ist wichtig, weil es nicht irgendein Gebäude ist, sondern die Naht, welche die historische Stadt und die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft auf der einen und die geografische Stadt mit den Thermalquellen, dem Fluss und dem Hügel von Ennetbaden auf der anderen Seite verbindet. Das ist die Errungenschaft. Nicht die Handschrift oder die Sprache des Gebäudes.
Haben Sie sich vor dem Entwurf des Projekts für ein paar Tage im Bäderquartier ein Hotelzimmer genommen, um sich in die Situation einzufühlen?
Natürlich, aber das Bild der neuen Therme hat sich nicht von einem Tag auf den anderen, sondern nach und nach herauskristallisiert. Es ist von weitem gekommen und hat Zeit gebraucht. Irgendwie bin ich auch froh, dass sich das Projekt so lange hingezogen hat. Weil ich so viele Sachen verstehen lernte, konnte sich daraus ein Geschenk an die Stadt entwickeln. Das passt, denn der Fluss, die Landschaft und das 47 Grad warme Wasser sind auch ein Geschenk der Erde.
Wie hat sich das Projekt im Lauf der 13 Jahre verändert?
Es war nie ein in sich geschlossener Kubus, sondern immer eine Hand, die in die Limmat greift und der Stadt dient. Die Therme sollte nicht im Mittelpunkt stehen. Nur die Materialien und Farben, die auf das warme, dampfende Wasser und die Umgebung Bezug nehmen, haben sich verändert und den Entwurf bereichert. Für mich als Architekten ist es sehr befriedigend, wenn eine Idee, eine Utopie, auf diese Art Realität wird.
Die finale Ausgestaltung hat nun Befürchtungen, die Therme könnte für diese Lage zu wuchtig wirken, welche angesichts des Rohbaus noch bestanden, weitgehend zerstreut.
Der Architekt hat’s nicht erfunden! (Lacht) Wir haben uns gesagt, wir machen etwas, das die Farben des Hügels, der Weinreben, der Bäume und des Wassers aufnimmt.
Welche Kriterien mussten die Materialien erfüllen?
Wir haben nicht nur getestet, wie beständig sie sind, wenn die Menschen die Thermen besuchen, sondern auch im Zusammenhang mit der Erosion und Korrosion durch das mineralhaltige Thermalwasser. Das war komplex. Der Stein stammt nun aus der Nähe von Verona, das Ahornholz aus Europa.
Ein Musiker hat mir gesagt, die Nacht, nachdem er der Plattenfirma ein neues Album abgeliefert hat, wäre für ihn die schwierigste, weil ihn beschäftigt, dass er nun nichts mehr daran verbessern kann. Verstehen Sie ihn?
Sicher, deshalb ändern auch wir immer irgendetwas bis im letzten Moment! (Lacht) Ich hatte meine Mitarbeiterin gebeten, im Innenbereich noch einige Möbelstücke eliminieren zu lassen, damit die Räume etwas luftiger wirken.
Sind Sie jemand, der mal ein Bad nimmt oder in die Sauna geht?
Normalerweise nicht, aber ich finde es schön, wenn andere es geniessen. Ich bekomme schon Atemnot, wenn ich bis zu den Knöcheln ins Wasser steige! (Lacht) Aber das ist nicht wichtig. Ich habe auch schon Banken entworfen, obwohl ich kein Banker bin, und Kirchen, obwohl ich kein Priester bin … Der Architekt muss den Bürger nur verstehen und richtig interpretieren.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen der modernen Architektur?
Die Frage lautet: Was braucht der Mensch und was schadet ihm? Was kann die Architektur in unserer Kultur leisten, um Lebensfreude zu schenken? Gerade in der Coronazeit, in der wir erkennen müssen, welche drastischen Folgen die klimatischen Veränderungen haben und dass es die Natur nicht für uns richten wird, wenn wir nicht endlich handeln.
Wie gross ist Ihr Ehrgeiz, Bauwerke zu schaffen, die Jahrhunderte überdauern?
Mit geht es darum, den Bedürfnissen der Menschen und des Orts gerecht zu werden. Ich will weder aufwärmen, was andere Architekten in der Vergangenheit gemacht haben noch die Zukunft vorwegnehmen.
Ist schon mal ein Bauwerk von Ihnen abgerissen worden?
Nein, so alt sind sie noch nicht, obwohl das Pfarrhaus in meinem Heimatdorf Genestrerio, in der Nähe von Mendrisio, das ich mit 18 entworfen habe, auch schon über 50 ist. Es hat jedoch dicke Mauern und ist auch sonst sehr solide gebaut. Es wird mich sicher überleben!
Ihre Bauwerke lösen oft kontroverse Diskussionen aus. Wollen Sie provozieren?
Nein, ich will nie provozieren – ich folge nur meiner Intuition. Zuerst wurde auch über das Fortyseven diskutiert, aber inzwischen darf ich vermutlich behaupten, dass 90 Prozent der Leute mit ihm zufrieden sind. Ich kriege jedenfalls viele Schreiben wie «Vielen Dank für das, was sie gemacht haben» oder «Der Fluss gehört endlich der Stadt».
Woher rühren die Meinungsverschiedenheiten, welche Ihre Entwürfe auslösen?
Architektur ist der Öffentlichkeit schwer zu verkaufen. Es ist nicht wie ein fertiges Bild, über das man urteilen kann. Wenn sie gebaut ist, will sie gelebt sein, am Tag und in der Nacht und in jeder Jahreszeit. Aber es stimmt schon, dass viele meiner Bauten, vor allem Kirchen, starke Reaktionen ausgelöst haben, aber nun stehen sie auf Plakaten und ziehen Touristen an! Es ist paradox: Was einst verteufelt wurde, wird nun verehrt.
Ein Projekt, über das nicht diskutiert wird, ist nicht interessant, oder?
Klar, über ein normales Gebäude hätte niemand gesprochen. Aber diese Thermen sind kein banales Bauwerk. Sie kommen von weit her und haben eine eigene Geschichte. Leider haben Politiker oft nicht den Mut, dem Erbe und der Kultur Rechnung zu tragen. Sie meiden das Risiko. Sie nehmen in Kauf, dass die Städte immer verwechselbarer und hässlicher werden.
Es werden immer mehr Hochhäuser gebaut, weil Bauland knapp und teuer ist. Eine gute Idee?
Nein, verdichtetes Bauen ist zwar notwendig, aber ich denke, dass extreme Vertikalbauten dem Menschen Gewalt antun. Weshalb soll ich in einem Büro in der 200. Etage arbeiten, wenn ich mit meinem Notebook auch im Garten sitzen könnte?
Dann ist das Homeoffice die Lösung für das Platzproblem?
Das Wohnen sollte mit Erholung einhergehen. Wenn ich müde bin, will ich nach Hause gehen, weil das ein Ort der Liebe, der Familie, der Gemeinschaft und des Zusammentreffens von Jung und Alt ist – und nicht der Arbeit. Die Pandemie war eine vorübergehende Erscheinung, die uns gezwungen hat, die persönlichen Kontakte stark einzuschränken. Die technische, virtuelle Beziehung sollte jedoch nur ein Werkzeug, nicht das Ziel sein.
Ihre drei erwachsenen Kinder arbeiten alle in Ihrem Architekturbüro. Weshalb sind Sie nicht mehr sicher, ob es gut war, dass sie ebenfalls Architektur studiert haben?
Für mich ist es gut, aber für meine Tochter und meine beiden Söhne? An Leidenschaft fehlt es ihnen nicht, um Grossprojekte verwirklichen zu können, braucht es jedoch potente Investoren.
Sind auch Ideen Ihrer Kinder ins Fortyseven eingeflossen?
Nicht direkt, wir diskutieren zwar immer untereinander, doch wir entschieden vor allem im Austausch mit der Projektleitung, während der Umsetzung noch Änderungen und Korrekturen an meinen ursprünglichen Plänen vorzunehmen. Architektur ist immer eine Kollektivarbeit.
Die Accademia di Architettura in Mendrisio, die Sie initiiert und mitgeprägt haben, ist im vergangenen Jahr 25 Jahre alt geworden. Werden dort andere Werte vermittelt als an der ETH oder EPFL.
Ja, ich glaube schon, dass wir einen anderen Ansatz haben. Ein angehender Architekt benötigt heute mehr Bildung in den Geisteswissenschaften als in der Technik. Die Universität muss Ideen liefern und ein kritisches Bewusstsein fördern. So holt sie sich auch Dozenten, die keine Architekten sind: Philosophen, Ökonomen, Historiker und Neurologen. Bei den anderen Schulen überwiegt eher der technologische Ansatz, der natürlich auch wichtig ist.
Wie finden Sie den Namen «Fortyseven» für eine Therme in der Deutschschweiz, in der schon die alten Römer badeten?
Ich finde ihn schön. Klar, er ist Englisch, aber die Zahl ist magisch, denn sie benennt nicht das Bad, sondern die Temperatur des Wassers, das aus der Erde kommt.
Mario Botta wurde am 1. April 1943 in Mendrisio geboren. Nach seiner Lehre als Hochbauzeichner studierte er in Venedig Architektur und arbeitete daneben für Le Corbusier am lokalen Krankenhausneubau. Der Tessiner machte sich 1969 selbstständig und entwickelte seinen unverwechselbaren Stil, eine Mischung aus schlichten, runden und eckigen geometrischen Formen sowie massiven Baukörpern und Materialien. Zu seinen bekanntesten Bauwerken in der Schweiz zählen die Kirchen in Mogno und auf dem Monte Tamaro, die Banca del Gottardo in Lugano sowie UBS und Tinguely Museum in Basel oder das Centre Dürrenmatt in Neuchâtel. Neben der Wellness-Therme Fortyseven wurde im vergangenen Jahr auch die von Botta entworfene Eishockeyarena des HC Ambri-Piotta eröffnet.
Photos Copyrights: Enrico Cano, Mario Krupik, Pino Musi, Joel Lassiter