Es ist tatsächlich schon zehn Jahre her: AM 1. Juni 2008 verstarb Modedesigner Yves Saint Laurent. Seine Kreationen sind pure Wertschätzung der Frau, Stoff gewordene Bewunderung und Ausdruck tiefer Einblicke in geheime Phantasien. Ein Annäherungsversuch.

Er sei ein bisschen ein Künstler, wird Yves Mathieu-Saint- Laurent zitiert, aber wenn er genau nachdenke, eher nicht nur ein bisschen. Diese kleine Anekdote* ist vielleicht das ehrlichste, was man über den in Oran in Algerien geborenen Designer finden kann. Yves wächst unter vielen Frauen auf, mit zwei Schwestern, Mutter und Grossmutter, der schlaksige Jüngling entdeckt en passant früh die sinnliche Welt der Modemagazine, der Düfte, der knisternden Stoffe und opulenter Farben. Sein Vater ist Versicherungsangestellter, die Eltern beide nachfahren von nach Algerien geflüchteten Elsass-Lothringern. Man kann sich vorstellen, wie der Junge in einer Mischung aus Konventionen und der Ahnung einer schillernden Welt aufwächst. Er ist künstlerisch begabt, schwärmt für Christian Dior, zeichnet gerne und bemerkenswert, darf 1953 mit 17 Jahren nach Paris ziehen, um dort im chambre Syndicale, dem herz der französischen coutureszene, seine Ausbildung zum Mode- und Bühnenzeichner zu absolvieren.


Dieser «Move», wie man es im heutigen Businessleben nennen würde, hat in atemberaubender Geschwindigkeit Folgen. noch im ersten Jahr reicht der Student Modezeichnungen bei dem damals einzigen internationalen Wettbewerb ein, den die Branche zu bieten hat, dem Modepreis des Internationalen Wollsekretariats**.
Er bekommt respektable Anerkennung, im Jahr darauf gewinnt Yves Mathieu-Saint-Laurent den ersten und dritten Preis, zweiter wird ein weiteres Genie, das die Modewelt bis heute in Atem hält: der Deutsche Karl Otto Lagerfeld. Für den jungen Franzosen wird ein Traum wahr: Er darf bei christian Dior arbeiten, der Modezar in den besten Jahren nimmt den Jüngling als Assistent unter seine Fittiche. Yves ist 21 Jahre alt, als der Grand Monsieur nur 52-jährig stirbt, und er zum Nachfolger und damit creative Director der mondänen Maison ernannt wird.
Der Exot aus Oran startet durch. Mit Bedacht, er wird ein Meister der subtilen Sensationen. Erst folgt er noch der berühmten Dior-Linie, beweist seinem Ziehvater Respekt und Treue, indem er brav nach dessen Façon die neuen Kollektionen entwirft. Schnell aber bricht sich seine eigene Vorstellung Bahn, die ersten Dior-fernen Modelle entstehen und das haus Dior sieht von einer weiteren Zusammenarbeit ab. Kein Beinbruch für den schönen Mann, der in Pierre Bergé einen Partner gefunden hat, mit dem er zuerst auf intimer privater Ebene, für den Rest seines Lebens aber auf einer intellektuellen und beruflichen Basis die perfekte Symbiose eingeht. 1961 gründet das Duo Yves Saint Laurent, das Modelabel, das bis heute Bestand hat. YSL hätte auch MSL werden können, in frühen Dessins hob Yves Mathieu- Saint-Laurent die Anfangsbuchstaben seines edlen Nachnamens gerne explizit hervor.
Yves Saint Laurent spielt mit den Geschlechterrollen, legendär sein erster Smoking für Frauen 1966. Gleichzeitig erhebt er die Frauen zu Göttinen gleichen Wesen in seinen kunstvollen De lée- und Foto-Inszenierungen, arbeitet parallel an Theaterproduktionen mit und kreiert so die perfekte Mischung von Bühne, Drama, Traum und realer Mode. YSL ist revolutionär, provokativ, ohne obszön zu werden, selbst spärlich bedeckte Frauen bleiben immer unfassbar elegant. Die umwerfendsten Stars tragen das Label, Frauen, die so unnahbar und trotzdem verletzlich sind wie der Maestro selbst. Bianca Jagger, die kühle Catherine Deneuve, Marisa Berenson wird zur Muse, in der jüngeren Zeit sind es Ikonen wie Carla Bruni und Kate Moss, die für die rebellische Eleganz stehen.
Unvergessen die Rive-Gauche-Linie, die ab Mitte der 1960er-Jahre die arrivierte Szene erstaunte, weil sich der Revoluzzer getraute, neben Haute Couture eine Ready-to-Wear-Mode zu lancieren. Er wolle den Frauen Selbstsicherheit geben und sie unterstützen, nicht nur schmücken, wird Saint-Laurent zitiert. Mission accomplished.
Yves Saint Laurent gehörte übrigens zu den führenden cou- turiers, die sich für ihre Kollektionen zu weiten Teilen auf die exquisite Qualität Schweizer Stoffe verlassen. Das Zürcher Seidenunternehmen Abraham und dabei vor allem der Chefdesigner Gustav Zumsteg hatten eine sehr enge Verbindung zu Yves Saint-Laurent als Mann und als Designer. Zumsteg, der auch für Dior entwarf, traf den newcomer anlässlich der Beerdigung von christian Dior. Die Kooperation von Zumsteg und Saint Laurent wurde intensiv, Stoffdesigner und Couturier inspirierten und bewunderten sich gegenseitig. Zumsteg und Saint-Laurent teilten die Liebe zur Kunst, der Modedesigner inszenierte seine Models gerne in prachtvollem Art-Ambiente und brachte Referenzen berühmter Maler in seine Mode ein. Die Stoffe dazu hatte der begeisterte Kunstsammler Zumsteg ebenfalls inspiriert von Meilensteinen der Kunst entworfen.***

Den Couturier Saint-Laurent umweht zeitlebens ein hauch Tragik, bei allem Erfolg und der Liebe der Beautiful People zu ihm und seinen Werken wirkt er irgendwie verloren. Er inszeniert 2002 seinen Abschied vom Laufsteg mit einem gi- gantischen De lée im centre Pompidou in Paris, 2’000 Gäste erweisen dem sichtlich erschöpften Mann die Ehre, die A-List der Topmodels führt die Meilensteine der von ihm gesetzten Trends vor: Smoking, Jumpsuit, Safari-Look, Russischer Style, china-Look, die durchsichtige Bluse und vieles mehr. Im sel- ben Jahr gründet sich die Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent, die zum Ziel hat, das Lebenswerk des Meisters zu erhalten und zu promoten. Auch heute, zehn Jahre nach seinem Tod, 60 Jahre nach seiner ersten eigenen Kollektion 1958, verändert es einen, wenn man in ein YSL-Kostüm, ein Kleid oder schon nur einen Bleistiftrock steigt. Irgendwie streckt man sich, man wird stolzer, bekommt ein erhabenes Gefühl. Man kann sicher sein, angezogen zu wirken, ein Bewusstsein, das wahrlich nur ganz wenigen Kreationen innewohnt heutzutage. Und vielleicht gibt es eine ganz simple Erklärung, ein Zitat von Monsieur Laurent selbst: «Das schönste Kleidungsstück für eine Frau sind die Arme des Mannes, den sie liebt. Für die, die dieses Glück nicht haben, bin ich da.» Liebe genäht. Glücklich die, welche die Mode des Ausnahmetalents aus seiner aktiven Zeit besitzen, manchmal wird man in Luxus-Vintageshops fün- dig und entdeckt ein gut erhaltenes Teil. Ein Stück Selbstbestimmung zum Anziehen. Versuchen Sie’s.
PS: Unbedingt die Yves-Saint-Laurent-Museen in Paris und Marrakesch besuchen. Pierre Bergé, der seine grosse Liebe um 9 1⁄2 Jahre überlebte, hat es geschafft, das Lebenswerk Yves Mathieu-Saint-Laurents angemessen zu inszenieren. Unfair, dass er die Eröffnung in Marokko nicht mehr erleben durfte, er starb drei Wochen davor. Die Tragödie gibt nie auf.

*Quelle: All about Yves von Catherine Örmen, ein wun- derschön aufwendig gestaltetes Buch, herausgegeben von der foundation Pierre Bergé Yves Saint Laurent. Verlag www.laurenceking.com
** Das Internationale Wollsekretariat IWS wurde 1937 mit Sitz in London gegründet, um den weltweit verstreuten Woll- produzenten die Möglichkeit zu geben, ihre Produkte ge- meinsam zu vermarkten und zu zerti zieren. Heute heisst die Vereinigung The Woolmark Company, gehört zur Australian Wool Innovation, unterhält lokale Büros auf der ganzen Welt und schreibt immer noch einen begehrten Mode- und Innova- tionspreis aus, den International Woolmark Prize.
*** Plakative Beispiele: Die YSL foulards. Die Swiss Textile Collection STC widmet in ihrem Schaulager in Murg derzeit eine Ausstellung den Entwürfen einer Mitarbeiterin aus dem Hause Abraham, die für Gustav Zumsteg arbeitete und über 1’000 foulards entwarf. 250 wunderbare Exponate, einge- rahmt von der Mode des Meisters aus dem Archiv der Hau- te-Couture-Sammlung der STC. Noch bis Ende März 2018, www.swisstextilecollection.ch