JENSEITS DER STILLE. EIN SELBSTVERSUCH.

„Ich weiss überhaupt nicht, wieso ich mein wunderschönes Heim mit so einem egoistischen Wesen teile, das nicht das mindeste Verständnis für mein Leben aufbringt und mir mit seiner Arroganz mein Leben vergällt“, schleuderte mir mein Dosenöffner mit Zornesröte im Gesicht entgegen. „Für dich ist etwas entweder gut oder schlecht, wertvoll oder wertlos, schön oder hässlich, schwarz oder weiss. In deinen Augen hat jemand entweder einen athletischen Körperbau oder er sieht aus wie ein Pudding, es gibt keinen zweiten oder dritten Platz, sondern nur einen ersten und letzten. Das Wort Mittelmass oder Durchschnitt kommt dir nur über die Lippen, wenn du über jemanden anderen sprichst, denn für dich besteht die Welt aus Extremen, ohne Grautöne oder Farben.“

Ich empfand Unverständnis! Schon Wochen vorher tat er sehr geheimnisvoll und sprach in Rätseln. Seine Geheimniskrämerei war so offensichtlich, dass es schier nach Katastrophe roch. Sein Verhalten hatte bei mir ein Panikorchester aufspielen lassen, das mir in den schrillsten Tönen die nahende Katastrophe ausmalte. Was hatte das zu bedeuten? Was hatte er vor? Und dann war der Enthüllungsmoment offensichtlich gekommen. „Sag schon, was meinst du“, stammelte er wie ein aufgeregtes Kleinkind. Ich hab mir wirklich viele Gedanken gemacht, um das Richtige für die Optimierung unserer Work-Life-Balance zu finden! Wie gefällt dir unser heuriges Ferienziel? Nur Stille, Spiritualität und neue Impulse. Keine Verpflichtung und kein stressiges Sightseeing-Programm. Ich war fassungslos. Er wollte uns hinter Klostermauern einkerkern, womöglich noch inklusive Fasten-, Selbstfindungs- und Yogakurs. Kurz liess ich animalisch meine Krallen blitzen, konnte diese aber, unseren Seidentapeten zuliebe, mit viel Mühe wieder unter Kontrolle bringen.
Ich rang um Fassung, liess mir aber nichts anmerken. Langsam drehte ich ihm den Rücken zu und ging in Zeitlupentempo, mit hängenden Schultern und schleifendem Gang aus dem Zimmer. Auf der Schwelle sagte ich mit Grabesstimme: „Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich meinen wohlverdienten Urlaub, deiner schon jetzt gescheiterten Selbstfindungsphantasie wegen, in einem Schweigekloster verbringe!“ Ich werde sicher nicht in einer kargen Zelle nächtigen und mir anhören, wie du in der Nacht die eingschmuggelten Kekse verschlingst. Schliesslich hat man doch gewisse Ansprüche. Ausserdem wirst du sowieso nicht durchhalten. Ich buche jetzt einen Urlaub, der meinem Niveau und meiner gesellschaftlichen Stellung auf diesem Planeten entspricht. Ich schreibe dir auch gerne eine Ansichtskarte, wenn du mir die Adresse deiner Pritsche verrätst!“ Dann schloss ich leise die Türe von aussen und genoss die verblüffte Stille. Der anschliessende Schreianfall, dessen ungefährer Wortlaut am Anfang dieses Textes angeführt ist, konnte man drei Gassen weiter noch hören und konnte erst nach raschem Eintreffen des Notarztes, mittels einer Beruhigungsspritze und der anschliessenden Verabreichnung eines doppelten Whiskeys unter Kontrolle gebracht werden. „Mensch Junge, reiss dich zusammen, du machst hier Stress, dass ich grosse Lust hätte wirklich hinter Klostermauern einzuchecken, nur um diesem Lärm zu entgehen! Das ganze Leben ist eine Pilgerreise“, fuhr ich fort ihn zu überzeugen, während er wimmernd weinte und ich ihn in meinen Armen wiegte, wie ein Kind, das einfach nicht verstehen will. „Es gibt nicht nur Schwarz und Weiss, das wirkliche Leben ist bunt wie wir!“

 

 

 

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