Seit rund vierzig Jahren stehen der akribische Studio-Perfektionist Boris Blank und der geniale Improvisations-Bohemien Dieter Meier für elektronische Soundlandschaften mit Charme und Charisma. Mit ADAM The Magazine sprachen die beiden Yello-Charaktere über die ersten Konzerte, den Kollaps des Kapitalismus und ihr knackiges Album „Point“.

Sie nennen Ihr aktuelles Album „Point“ – und nicht „Comma“. Machen Sie nach 41 Jahren einen Punkt hinter die Karriere von Yello?
Dieter Meier: Nein, für mich ist es The Point of Yello. Wie ein Scheinwerfer, fokussiert auf Yello.
Boris Blank: Oder The Point of no return. Wir sind an einem Punkt, wo wir nicht mehr zurückkönnen. Es geht immer weiter.

Wie sind Sie auf „Point“ gekommen?
Blank: Wir haben immer Dutzende von Ideen für einen Albumtitel. Die Wahl ist ein sehr schwieriger Prozess. Er darf nicht blöd klingen und muss Swing drin haben. Dieter hat mich aus Buenos Aires angerufen und gefragt: „Boris, hast du Zeit? Ich habe einen Titel für das Album: Point Yello“ (schnippt mit den Fingern). Und ich sagte: „That’s it. Der klingt.“ Es gibt Brennpunkte, Mittelpunkte und Treffpunkte – und nun gibt es auch den Yello-Punkt.

Ist diese Einigkeit typisch für Yello?
Meier: Wir diskutieren viel, sind aber keine Eigenbrödler, sondern erpicht, einen Konsens zu finden. In allem! Sonst könnte man das gar nicht machen, über vierzig Jahre lang.
Blank: Wenn es mal Reibereien gibt, nutzen wir unsere Erfahrungswerte, um sie frühzeitig abzufedern. Zum Schluss einigen wir uns immer auf etwas, das geil ist, an dem wir beide Freude haben. Das war zwar früher schon so, aber jetzt ist vielleicht etwas Altersmilde dazugekommen.

Ist die klare Aufgabenteilung bei Yello ein Vorteil?
Meier: Es geht nur so. Boris liebt es, jahrelang im Studio zu tüfteln und an fünfzig Klangbildern gleichzeitig zu malen. Ich habe sehr viele andere Sachen am Laufen und deswegen kein Problem damit, wenn ich mal dreieinhalb Jahre nichts von ihm höre. (schmunzelt)

Sind Sie nicht neugierig?
Meier: Schon, aber es ist ganz gefährlich, in einen laufenden Prozess reinzuhören und reinzureden, denn es könnte deinen Partner in seinem schöpferischen Akt verunsichern, bei dem er sich eh auf einem unbekannten Terrain vorantastet. Aus diesem Grund ist es für mich immer ein magischer Moment, wenn ich zugelassen werde. Speziell ist bei uns auch, dass ich in den letzten vier Jahren nur etwa 6 Wochen im Studio war und Boris vielleicht 220 … Das ist der kleine Unterschied.

„Point“ ist das erste Album, seitdem Yello Konzerte gegeben hat. Hat Sie diese Live-Erfahrung inspiriert?
Blank: Überhaupt nicht! Wie Dieter schon sagte, bei mir liegen Dutzende von Stücken halbfertig herum. Sie warten schon lange nur darauf, animiert oder reanimiert zu werden.

Sie sollen aber gesagt haben, dass Sie schon früher aufgetreten wären, wenn Sie gewusst hätten, wie viel Spass das macht?
Blank: Wir haben die Konzerte jetzt gegeben, weil wir dachten, man muss das machen, solange man jung ist. Yello ist eine junge Live-Band. Wir haben noch sehr viel vor. Vielleicht sogar eine richtige Tournee, bei der keine Instrumente mehr auf der Bühne stehen werden, wir aber ein audiovisuelles 360-Grad-Rundumerlebnis bieten. Viele haben eh gesagt, eigentlich müsst ihr gar nicht so viele Musiker auf der Bühne haben. Es reicht, wenn ihr dort steht. Ich wollte jedoch bei unserer Premiere keinen Fake wie bei den Pet Shop Boys, wo Chris Lowe mit seinem Laptop nur so tat, als würde er Musik machen. Die Leute sollten unsere Bläser erleben. Ich kann mir aber auch andere Konzepte vorstellen.

Das klingt sehr analytisch und kontrolliert. Welche Emotionen haben Sie erlebt?
Blank: Es hat sehr lange gedauert, bis Dieter einen Eremiten wie mich motivieren konnte, sich aus seiner Klause heraus auf eine Bühne zu wagen. Ich fürchtete, dass wir etwas vorgeben, was wir nicht sind. Beim ersten Konzert haben mir noch die Knie geschlottert, doch dann spürte ich, wie wohl sich Dieter auf der Bühne fühlt und wie die Leute uns mögen. Diese positive Energie hat mich extrem beeindruckt.
Meier: Wenn ich mit meiner Band Out of Chaos auf die Bühne gegangen bin, ist der Name Programm. Da habe ich viel mehr Freiheiten. Da kann ich einen Refrain zweimal singen und die Musiker darauf reagieren. Bei Yello ist alles auf die Zehntelsekunde ausgemessen. Du kannst nicht improvisieren, nichts ist spontan. Das hat auch seinen Reiz, aber ich hoffe, dass wir auf der nächsten Tournee spontaner werden können. Der Yellofier, diese wundervolle App, die Boris erfunden hat und selbst Laien ermöglicht, faszinierende Stücke zu komponieren, kann auch uns beflügeln.

Wie ist die fröhliche Single „Waba Duba“ entstanden?
Blank: Da war tatsächlich der Yellofier mit im Spiel. Er ist einer meiner besten Freunde. Ich habe ihn immer bei mir. Wenn ich mit dem Hund im Wald unterwegs bin, experimentiere ich mit den Vokalen und nehme das gleich auf. Ich kann da witzige Zufallsgeneratoren verwenden. Bei „Out Of Sight“ habe ich aufgenommen, wie meine Frau Patrizia in der Küche beim Kochen geschwärmt hat: „Che belle, belle, belle!“

Täusche ich mich oder gibt es in „Waba Duba“ ein „The Race“-Zitat?
Blank: Das höre ich nicht zum ersten Mal. Das Bariton-Saxophon ist einer der signifikantesten Sounds im Repertoire von Yello. Ich verwende ihn öfters, weil ich ihn unheimlich mag.

„Way Down“ klingt ungewohnt entspannt, swingend und funky zugleich …
Blank: Ja, dieser Electro-Reggae hat wirklich viele Einflüsse. Ich weiss auch nicht weshalb. Als ich Dieter die Demoversion schickte, meinte er, wir müssten nur noch seine Vocals aufnehmen, da meine Stimme allein zu dünn ist. Die Texte sind total dadaistisch.
Wie heisst es noch darin? „Bring that beef back home“?
Meier: Was singst du da? „Bring that beat back home!“ (sie amüsieren sich)

Das flirrende, hypnotische Gegenstück ist „Insane“. Eine Hymne auf die Verrücktheit?
(Beide äussern, dass sie nicht wissen, um welchen der zwölf Songs es sich dabei handelt)
Blank: Dieter weiss eben auch nicht immer, was er singt. Er hat eine schöne Formulierung dafür: „Die Inspiration fliegt mir zu, und wenn der Song aufgenommen ist, fliegt sie weiter.“

Wie wichtig sind die Sehnsucht nach grosser Liebe und heisser Erotik als Triebfeder Ihres musikalischen Schaffens?
Meier: Wo sehen Sie Erotik?

In „Hot Pan“ …
Blank: Aha.
Meier: Interessant. Das habe ich überhaupt nicht so gesehen.
Blank: Haben Sie einen Psychiater? (sie lachen)

Der Song hat einen pulsierenden Rhythmus und Sie singen von „hardcore“ und „shakin’ my body upside down“. Überbordet da wirklich meine Phantasie?
Blank: Überhaupt nicht. Manchmal schreiben Kritiker – ich weiss nicht, ob das Frauen sind – was für eine erotische Stimme Dieter hätte. Jemand schrieb gar, man würde schwanger, wenn man ihn hören würde.
Meier: Ist das wahr???

Haben Sie nie Musik gemacht, um Frauen zu gefallen?
Meier: Nein, nein, nein! Das war nie unser Impuls und wir hatten auch nie Groupies.

Dafür haben Sie beide so lange Beziehungen wie nur wenige Stars im Musikbusiness. Was ist Ihr „Geheimnis“?
Meier: Unsere Frauen haben ihre eigenen Ideen und erfüllen sie sich selbst. Selbstständigkeit muss gewährleistet sein. Wenn meine Frau und ich uns sehen, haben wir viel zu erzählen. Dieser Austausch ist sehr bereichernd.

Wollen Sie sich in Zukunft mehr Zeit nehmen, um Dinge mit Ihren Partnerinnen gemeinsam zu tun?
Meier: Ich nicht. Ich entwickle Sachen mit anderen Leuten, aber ich habe unendlich viel Zeit. Was ich mache, landwirtschaftlich oder önologisch, ist für mich ein Vergnügen. Daher habe ich keinen Stress. Und meine Frau hat die Verantwortung für ihre Firma enSoie unseren drei Töchtern übergeben und sich fast ganz ins Privatleben zurückgezogen.

Wagen Sie als musikalische Visionäre auch eine Prognose, an welchem „Point“ von Corona wir stehen und wohin uns die Entwicklung noch führen wird?
Meier: Ich bin davon überzeugt, dass sich die Welt – wenn das Problem medizinisch gelöst ist, und das scheint kein Hexenwerk zu sein – wieder wie vorher drehen wird. Und das wäre nicht nur gut. Der kapitalistische Irrsinn wird weitergehen.
Blank: Das hoffe ich nicht!
Meier: Ich auch nicht, aber der einzige Zweck des Systems ist die Rentabilität des Kapitals. Die Verbrennung von Öl und Kohle hat schlimme Folgen, die Verschmutzung der Meere und der rücksichtslose Umgang mit Tieren. Hinzu kommen die Milliarden-Schulden, welche die Staaten angehäuft haben. Da steht uns ein totaler Kollaps bevor. Das System wird sich aber erst ändern, wenn wir keine Luft mehr bekommen.

Yello wurde 1979 vom avantgardistischen Sprachkünstler Dieter Meier (Gesang) und den Techno-Pionieren Boris Blank und Carlos Péron (Synthesizer) gegründet. Mit der Single „Bostich“ hatten die Zürcher sogar in New York einen Club-Hit. Als Duo starteten sie ihre erfolgreichste Zeit mit dem vierten Album „Stella“ sowie den Auskoppelungen „Desire“ und „Vicious Games“. Ende der Achtzigerjahre folgten ihre Gänsehaut-Ballade „The Rhythm Divine“ mit Gastsängerin Shirley Bassey und das ikonographische „The Race“. Da Soundtüftler Blank lange bezweifelte, dass sich seine Musik live adäquat reproduzieren lässt, gibt Yello erst seit 2016 Konzerte. Das aktuelle Album „Point“ trägt die unverwechselbare Handschrift der beiden Technolegenden. Die Songs sind unkonventionell und der Sound ist brillant.

Photos Copyrights: Universal Music