Wo steckt eigentlich die Hoffnung?

Fast unbemerkt hat in unserer luxuriösen Vorstadtvilla eine kleine, aber feine Depression Einzug gehalten. So wie das miese Wetter der letzten Wochen kroch sie langsam die Wände hoch und setzte sich in den Ecken fest. In einer Zeit des, mitten in Europa so deutlich vor Augen geführten Krieges, einer gerade überstandenen Pandemie, der sich bereits ankündigenden nächsten Wirtschafts- und Bankenkrise – wen wundert es, wenn die mentale Gesundheit etwas auf Slow-Motion surrt?

Der erste Schritt, ein Problem zu beheben, ist, es zu erkennen! Wir brauchen etwas Schwung in der Bude, also kremple ich die Ärmel meines Ralph Lauren-Hemdes hoch und warte auf eine zündende Eingebung! Als Adam, mein Dosenöffner und Mitbewohner, Stunden später von der Arbeit heimkommt, stehe ich immer noch und versuche meine Gedanken zu ordnen. Mittlerweile hat sich eine gewisse Hoffnungslosigkeit ausgebreitet und beginnt, mein Herz eisig zu umklammern. Diese ewig schlechten Nachrichten – ich habe sie so satt! Wie soll ein Kater das alles stemmen?

Adam steht wohl schon eine ganze Weile und betrachtet besorgt, wie ich zur Salzsäule erstarrt und mit leerem Blick als lebende Deko in unserem Wohnzimmer herumstehe. Nach einem halbherzigen Versuch, mich aufzumuntern, verschwindet er schliesslich in unserem Luxus-Spa-Badezimmer. Mittlerweile ist es dunkel geworden und ich starre stumm in die Finsternis. Die Hoffnung schaut auch nicht auf einen Sprung vorbei, sie bleibt, wo sie ist, verschollen. Plötzlich dringt von draussen laute Musik. «Grönemeyer kann nicht tanzen», grölen die Ärzte aus einem Autoradio und der Takt der Musik setzt sich sofort in meinen Ohren fest. Plötzlich beginnen meine Zehen zu zappeln. Die Musik weckt mich nach und nach aus meiner Starre und  schiebt die eiserne Kälte weg. Langsam steigt Aufregung vom eisigen Boden hinauf in jede einzelne Fellspitze. Dann beginne ich, mich zu bewegen, klopfe den Takt mit meinem Schwanz, mache zackige Bewegungen und fege schliesslich mit wild rudernden Armen und spastisch anmutenden Bewegungen durch den Raum. Grönemeyer kann nicht tanzen? Ich aber schon und ich tanze mir den ganzen Frust von der Katerseele. In einem ausdrucksstarken Contemporary springe, kugle, falle ich, steige hoch, purzle herum … ich recke die Arme zum Himmel, mein Atem geht unrhythmisch, der Blick irr. Das Wohnzimmer ist komplett durcheinander gefegt, doch die negativen Gedanken sind verschwunden. Keine muffige Schwermut mehr vorhanden! Welch eine Erlösung! Ich bin in diesem Moment unendlich dankbar!

Da steht Adam wie ein Gespenst im weissen Seidenpyjama vor mir und starrt mich mit riesigen Augen an. Aus der Soundanlage dröhnt laute Musik. «Sag mal, hast du den Verstand verloren?», bricht es aus ihm heraus. «Nein, die Hoffnung, aber ich hab sie wiedergefunden», referiere ich ungeduldig wie alle Wissenden. Entsetzt sieht mich Adam an. «Aber, was ist denn los!»

«Das ist los!», spucke ich ihm, diabolisch lachend, ins entsetzte Gesicht, schmeisse die Wohnzimmertüre zu und tanze wild gestikulierend weiter. Ich wäre nicht ich, wenn ich aus meiner Erfahrung nicht Kapital geschlagen hätte. Nur Stunden später ist unser Hobbykeller zu einem Tanzsaal mit Power-Musikanlage umgestaltet. Mit Eurozeichen in den Augen reibe ich mir schon mal die Pfoten und poste eifrig «Hope» über alle Kanäle des World Wide Web.

Illustration: Manuela Dona

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