Herbert Grönemeyer (66) hält der Welt auf seinem neuen Album «Das ist los» den Spiegel vor und versucht trotz aller Krisen Optimismus zu verbreiten.
Mit dem Eröffnungslied «Deine Hand» umreissen Sie die Tonalität Ihres neuen Albums – irgendwo zwischen Angst und Hoffnung. Wo liegt sie auf einer Skala zwischen 1 und 10?
Spontan würde ich sagen: Die Angst bei 4 und die Hoffnung bei 7.
Welche Reaktion halten Sie für angezeigt?
Ich glaube, dass die Zeit massiv drängt und ganz viele Menschen aus dem Schlaf gerissen werden müssen. Wir haben es uns in unserem Komfort lange sehr gut eingerichtet, aber nun ist die Situation so dramatisch, dass wir begreifen müssen, dass wir auf diese Art in vielerlei Hinsicht nicht mehr weitermachen können. So ist es nur legitim, Forderungen zu stellen und Veränderungen zu wollen.
Was gibt Ihnen Anlass, da optimistisch zu sein?
Wenn man all den Krisen in den letzten Jahren etwas Positives abgewinnen kann, dann ist es, dass sie uns so sensibilisiert und offenporig gemacht haben, dass uns gewisse Dinge mehr berühren als zuvor. Wir schaffen es nicht mehr so leicht, Themen schnell wieder zu verdrängen.
Woran denken Sie?
Die Situation im Iran, das eigentlich weit weg und doch sehr präsent ist. Jetzt, wo wir die Bilder aus dem Ukraine-Krieg täglich vor Augen haben, können wir uns auch viel besser vorstellen, wie grausam der Bürgerkrieg in Syrien war.
Ist die Klimakrise durch den Ukraine-Krieg und die Rohstoffknappheit nicht etwas in Vergessenheit geraten?
Nein, seltsamerweise nicht, obwohl es den Reflex gibt, dass man sich ja nicht ständig mit allem beschäftigen kann. Es stimmt: Zwischendurch braucht man mal eine Pause. Die Pandemie und die Inflation haben jedoch manche Dinge sichtbarer gemacht, etwa, dass in Deutschland 13 Millionen Menschen von Armut betroffen sind, also jede und jeder Sechste. Aus diesem Grund habe ich mit einigen Freunden eine Gruppe gegründet, die sich mit dem Thema beschäftigen will.
Wie ist der Titelsong «Das ist los» entstanden?
Mein Walisischer Produzent Alex Silva spricht noch immer relativ schlecht Deutsch, obwohl er schon seit zwanzig Jahren in Berlin lebt. Das liegt daran, dass er sehr charmant ist und die meisten Leute deswegen mit ihm Englisch sprechen. Wenn ich ihn anrufe und frage, was bei ihm los ist, sagt er immer: «Das ist, was ist los.» Ein Übersetzung der Redewendung «That’s what’s hapenning.» Er selbst hat sie aufgenommen, singt auch mit und steuerte noch diesen Gitarrensound bei. Daraus haben wir in einem Studio in Schweden diesen Song gebastelt, indem wir im Schnelldurchlauf irgendwelche Namen und Schlagworte runterknattern.
Wollen Sie dem Album mit dieser an «Da Da Da» anklingenden Nummer etwas Leichtigkeit verleihen?
Stimmt, das Lied erinnert an Trio und ist musikalisch eine Mischung aus Neuer Deutscher Welle und Rock’n’Roll sowie inhaltlich eine Persiflage auf den ganzen Informationswahn. Wie einst «Männer», bei dem ich trotzdem ernsthaft gefragt wurde, ob es sich bei diesem Song um das Psychogramm des Mannes handeln würde, ist «Das ist los» jedoch vor allem eine Spassveranstaltung
Was bedeutet Ihnen das Tanzen, das in mehreren Liedern vorkommt?
Für mich ist es eine Möglichkeit zu vergessen. Wenn man ein oder zwei Stunden tanzt – falls es die Kondition zulässt auch länger – hat man sogar in solchen Zeiten die Chance, den Kopf mal freizukriegen. Und da ich, wie jeder weiss, auch auf der Bühne ein grosser Tänzer bin, singe ich gerne drüber. Manchmal schleicht sich das Wort fast unbemerkt in einen Text, wie in «Baby, you wanna dance» bei «Herzhaft». Ich habe die Zeile schon im englischen «Bananen-Text» gesungen und keine passende Übersetzung gefunden. Das klang immer viereckig.
Hatten Sie beim Tanzen nie Hemmungen?
Nein, nie! Ich war in meiner Pubertät oft in Frankreich und habe dort auch in Kneipen gespielt. Dann brachten mir die Franzosen und Französinnen ihren Rock’n’Roll bei, den sie zweihändig und mit unglaublichen Verdrehungen, Unterzügen und Überwürfen tanzten. Wenn ich den in Deutschland an Partys vorgeführt habe, konnte ich die Leute enorm beeindrucken. Wobei man anfangs der Siebzigerjahre nicht nur jeden Samstag an eine Party ging, sondern bei mindestens zwei oder drei Partys vorbeischaute. Später ging ich eine Zeit lang nach den Konzerten – sehr zum Leidwesen meiner Bodyguards – an Technopartys und tanzte meinen Adrenalinspiegel runter.
Für Ihre tänzerischen Bewegungen auf der Bühne werden Sie manchmal belächelt …
Satiriker Wiglaf Droste und Bela B. von den Ärzten machten sich sogar in einem Lied über mich lustig: «Grönemeyer kann nicht tanzen». Sie hatten sich in den Achtzigerjahren bei einem Konzertbesuch gefragt, wer dieser Typ ist, der so ungewöhnlich tanzt, und dachten, ich würde mich tierisch über den Song aufregen, aber ich fand ihn witzig. Wir im Ruhrgebiet sind diesbezüglich schambefreit, da wir ganz allgemein und speziell wegen unserer komischen Sprache als nicht ganz dicht gelten!
Sie hatten auch mit Ihrem Gesangsstil nie ein Thema, oder?
Nein, ich bin auch da völlig hemmungslos, denn es ist mein persönlicher Ausdruck. Es ging mir immer extrem auf die Nerven, wenn Produzenten an meiner Art zu singen herumdoktern wollten, obwohl ich ihnen sagte, dass mein Vorbild Bob Dylan war, von dem man kein Wort versteht. Ich sagte mir: Ich singe, wie ich singe, und ich küsse, wie ich küsse. Da gibt es auch keine Jury.
«Genie» ist eine Aufforderung, gross zu träumen. Haben Sie das schon immer getan oder erst aus einer bestimmten Erfahrung heraus?
Ich habe schon früh gespürt, dass man in die Aktion kommen muss. Anerkennung bekam ich zum Beispiel, wenn ich beim Kaffeekränzchen meiner Mutter ein Lied sang und auf meiner Ukulele spielte.
Sie besingen die Frauen nicht nur als Geliebte, sondern auch als Heldinnen und Retterinnen. Sind sie die grösste Hoffnung, die der Menschheit bleibt?
Ihr Mut und ihre Energie sind momentan wahnsinnig gefragt, da der Kampf um die Gleichstellung und Gleichberechtigung noch lange nicht gewonnen ist. Mit ihrer weiblichen Intelligenz und Denkweise, aber auch ihrer Radikalität und Militanz, die man gerade im Iran sieht, wo die Frauen mit ihrer unglaublichen Courage und Tapferkeit trotz Todesdrohungen beeindrucken, könnte es ihnen gelingen, die Krisen dieser Welt in den Griff zu kriegen.
Wie kam es zu den eher ungewöhnlichen Liebes-liedern auf dieser Platte?
Die Zeile «Manchmal legt der Tau sich auf mich» in «Tau» beschreibt die Melancholie, wenn einem die grossen Glücksgefühle nicht geheuer sind, da sie fast zu schön sind, um von Dauer zu sein. «Tonne Blei» handelt von einer egoistischen und obsessiven Beziehung. «Urverlust» fasst den Schmerz in Worte, wenn man rückblickend erkennt, dass man in der Vergangenheit Fehler gemacht hat, nach denen dein Leben eine falsche Richtung nahm.
Nehmen Sie sich mit 66 zwischen den Plattenproduktionen und Tourneen öfter Auszeiten, etwa um Ferien in Ihrer Wohnung in Celerina zu machen?
Nein, ich könnte darüber dachdenken, vielleicht etwas kürzerzutreten, doch ich bin nun mal sehr rastlos und schaffe mir immer neue Aufgaben, weil ich sonst Angst habe, dass ich stillstehe. Früher habe ich neben Theater oder Musik auch noch Sport getrieben. Daran habe ich immer noch Freude, doch dann hatte ich in Celerina einen solchen Husten, dass ich keinen Ton mehr herausbrachte.
Vor einer Tournee hätten Sie aus Versicherungs-gründen wohl eh nicht Skilaufen dürfen …
Genau, deshalb und weil es ein gutes Konditionstraining ist, wollte ich eigentlich Langlauf machen. Wegen der
Erkältung konnte ich jedoch nur Spazieren gehen und die gute Luft geniessen.
Fotocredits: Victor Pattyn