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Call Me Adam

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La Vita é Bella!

Der beste Italiener ausserhalb Italiens.

«Ich bin der beste italienische Koch ausserhalb Italiens», dröhnt es aus dem Fernseher. «Kitchen Impossible-Time». Wieder einmal hat der Fernsehkoch und Landesrüpel Tim Mälzer seinen ewig gleichen Spruch, hämisch grinsend angebracht und nun geht ‚ s an die Challenge.

Möge die Übung gelingen, denke ich mir, und schliesse die Augen. Dieser kleine Satz hat genügt, um meine Gedanken in die Ferne schweifen zu lassen. Ich verlasse die laute Enge der Stadt, überquere den San Bernadino. Allmählich öffnet sich die Landschaft, wird flacher – ich fliege dem Meer entgegen.
Alles ist hier üppig, quasi ausserhalb der Norm. «Profumo! Amore!» Diese Düfte, diese  Aromen von Sonne, Meer, Fisch, Espresso, von Liebe liegen in der Luft. Überall geschäftiges Treiben, Geplauder, Geschrei von Kindern, eine Signora stöckelt mit einem Blumenstrauss im Arm über die Piazza. «Ragazzi» lungern auf ihren Vespas. Die Burschen albern herum und sind unbeschwert  jung. Niemand kann so verächtlich eine Zigarette ausdrücken, wie ein Italiener in knallengen Jeans und Designer-Sonnenbrille vor der «Bar
Centrale».

Drrrrrrr!!!! Die Türklingel!
Unsanft werde ich aus meinem Traum gerissen. Eine Weinlieferung aus der Toskana. Die kommt mir gerade recht. Ob Sie es glauben oder nicht – in meinen Adern fliesst italienisches Blut! Ich bin quasi Italiener! «Certo»! Und ich bin stolz auf jedes klitzekleine Molekül davon. So wunderbare Stunden habe ich in Italien verbracht – «meraviglioso». Ich bin der beste Italiener ausserhalb Italiens. Schon wieder überkommt mich die Sehnsucht nach dem Land von Sophia Loren und Marcello Mastroianni.
Ich werde Adam heute Abend vorschlagen, dass wir uns einen italienischen Abend gönnen, um das Heimweh abzulegen. Mit selbstgemachter Pasta, mit Prosecco, einem schönen «Antinori» aus der Toskana, Tiramisu oder Canoli mit Pistaziencremefüllung.

… und schon fahre ich in Gedanken in meinem babyblauen Cabrio, auf einem kleinen Strässchen, durch die traumhafte, hügelige Landschaft der Toskana. Weinreben soweit das Auge reicht, Strohballen, Zypressen, Bogainvillea, kleine malerische Orte mit winzigen Steinhäusern und einer Bar. Am Horizont ein burgähnliches Gebäude. Irgendwo bellt ein Hund.

Drrrrrrr!!!! Die Türklingel!
Wieder werde ich grob aus meinen Träumen gerissen. Eine Salumi-Lieferung aus Kalabrien und gleich mitbestellt Olivenöl «Extravergine» von einer kleinen  «Fattoria» in der Basilikata.
Das Paket duftet herrlich nach «Prosciutto, Soppressata, Capocollo» und «Salsiccia, fatto in casa», hausgemacht. Ihr »Macellai» Italiens, ich vergöttere euer Handwerk. Ich reisse das Paket auf, sauge gierig dessen Duft ein und bin augenblicklich in dem kleinen Landgasthaus mit dem Wasserrad. Vor lauter Blumen und Terracottatöpfen ist der Eingang kaum zu sehen und eine hübsche gestreifte Markise schützt die Terrasse vor der unerbittlichen Sonne. Es ist viel zu heiss, um zu essen, aber eine  Antipastiplatte wird aufgetragen. Die Kellnerin lächelt verschmitzt, als wir entsetzt die Mengen des «Primo» kommentieren. Unermüdlich gluckert das kristallklare Wasser des Bachs, der durch den Gastgarten fliesst, während wir uns durch die Trüffelpasta und das «Tagliata di Manzo« mit Grana kämpfen. Jetzt ein Grappa! Aus der Küche dringt geschäftiges Geklapper.

Drrrrrrr!!!! Die Türklingel!
Barbarisch werde ich aus meinen Traum gerissen. An der Türe unserer Upperclass-Villa übernehme ich eine Lieferung «Mozarella di Buffalo» und Zitronen, direkt aus Neapel.
Der intensive Duft der Zitronengärten an der Amalfiküste dringt in meine überaus sensiblen Riechorgane, setzt sich in meinen Gedanken fest und verbreitet augenblicklich ein Wohlgefühl. Kindlich sanft streichle ich die Zitronen. Mit Andacht geniesse ich gedanklich ein «Caprese», dessen käsig, sahniger Duft der «Burrata» mit Basilikumöl und sonnenreifen «Pomodori» alle Geschmacksknospen mobilisiert.
Auf meiner Zunge schmilzt ein intensives, eiskaltes »Granito di Limone», gekauft bei der roten Ape am Strassenrand. «Buonissimo! Arrivederci!»
Auf den Stufen von Positano geniesse ich dann einen Pistazien-«Affogato» mit Blick auf die Boote, die bunten Strandliegen und Sonnenschirme. Ich habe Sand zwischen meinen Zehen und »Cocco
bello»-Rufe in meinen Lauschern.

Drrrrrrr!!!! Die Türklingel!
Ich höre mich seufzen.

Als an diesem Tag Adam von der Arbeit heimkommt, findet er eine Nachricht in der verwaisten Wohnung. Ciao bello! Du findest mich irgendwo in Italien, die Route steht noch nicht fest, aber es wird herrlich sein!

Das Leben ist schön – La vita é bella!

Copyright Illustration: Manuela Dona

„Das Tessin war mein Zuhause“

Popstar Jack Savoretti sucht nach dem Tod seines Vaters auf dem Album «Miss Italia» seine italienischen Wurzeln.

Die meisten Menschen träumen in ihrer Muttersprache, aber bei Ihnen ist es weder Englisch noch Deutsch oder Polnisch, sondern Italienisch …

Das ist erst so, seitdem ich dieses Album gemacht habe. «Come Posso Racontare», in dem ich davon singe, ist das einzige Lied, das ich bereits geschrieben hatte, als mein Vater gestorben ist. Seine Reaktion gab mir das Vertrauen, nach seinem Tod «Miss Italia» zu machen. Diese existenzielle Erfahrung brachte mich dazu, mich ganz generell mehr mit meinen italienischen Wurzeln zu beschäftigen.

Wie ist «Come Posso Racontare» entstanden?

Ich glaube, in diesem Fall war es eine Art Vorahnung. Wobei ich solche Songs schrecklich finde. Du schreibst ein Trennungslied und zwei Monate später passiert es wirklich. Innerlich weisst du eben viel mehr, als dir bewusst ist. Unsere Sinne stumpfen ab, weil wir so viel Ablenkung haben. Unsere Intuition könnte uns mehr sagen. Ich hatte vorher schon mehr über Italien zu träumen begonnen, und dann hat dieses katastrophale Ereignis meine Neugier auf mein Vaterland explodieren lassen.

Weshalb nicht früher?

Vorher war meine Beziehung zu Italien durch meinen Vater definiert. Als dieser Anker weg war, musste ich herausfinden, was mich sonst noch mit dieser Kultur verband. Ich beantragte sogar den italienischen Pass. Zwei Monate nach der Fertigstellung dieses Albums bekam ich ihn per Post. Ein seltsamer Moment, da ich früher nie in Erwägung gezogen hatte, auch noch Italiener zu werden.

Fühlten Sie sich mit dem Tessin enger verbunden?

Nun, ich habe nie in Italien gelebt, während Carona, oberhalb des Luganer Sees, mein Zuhause war und später der Ort, wo sich unsere Familie getroffen hat. Nur meine Sommerferien habe ich immer bei den Grosseltern in Ligurien verbracht.

Wie reagierten Ihre Eltern auf Ihre musikalische Karriere?

Meine Mutter hatte mir meine erste Gitarre geschenkt und mein Vater war der Erste, der meine Songs kritisierte. Er brachte mir bei, das nicht persönlich zu nehmen, sondern professionell. Das ist sehr wichtig in dieser Branche, wo du viele schreckliche Dinge über dich liest. Dagegen liebt meine Mutter alles, was ich tue. Ich könnte mich übergeben und sie hielte mich für ein Genie. (lacht) Sie ist in dieser Hinsicht die perfekte jüdische Mutter!

Wie gehen Sie damit um, falls das Album in Italien nicht nur positiv aufgenommen wird? Immerhin sind es sehr persönliche Songs.

Ich hoffe, dass es auch Kritik ernten wird! Sonst wäre es flach. Ich bin auch nicht so vermessen, mich für einen grossartigen italienischen Songschreiber zu halten. Ich hoffe einfach, dass die Leute neugierig sind und sich ihre eigene Meinung bilden.

Sie haben mit Zucchero eine neue Version von «Senza Una Donna» aufgenommen, das schon in seiner Version mit Paul Young ein Hit war. Ein PR-Schachzug?

Das Duett hat sicher geholfen, um Werbung für das Album zu machen, aber es war nicht meine Idee. Nachdem ich Zucchero für einen englischen Radiosender interviewt hatte und wir uns sehr gut verstanden hatten, rief er mich an, als er in London drei Konzerte gab. «Wollen wir eine Single zum 30-jährigen Jubiläum von «Senza Una Donna» machen und den Song nachher in der Royal Albert Hall singen?»

Kannten Sie das Lied überhaupt?

Klar, «Senza Una Donna» weckt bei mir schöne Kindheitserinnerungen. Es war ein Lieblingslied meiner Mutter. Sie liess es immer laut laufen, wenn sie mich mit dem Auto in die Schule brachte. Durch seine Zweisprachigkeit wird es helfen, meine britischen Fans zu den rein italienischen Songs hinzuführen.

Woher kommt der Titel des sommerhitverdächtig groovenden «Bada Bing, Bada Boom»?

Im Englischen ist das ein Ausdruck, den man einsetzt, um zu sagen: «Das ist es! Wir haben es geschafft.» Wie «Supercalifragilisticexpialidocious» bei Mary Poppins. Die Wendung fiel mir ein, als ich mit Co-Songwriter Miles Kane, dem grossartigen Gitarristen von The Last Shadow Puppets, nach einem Refrain suchte.

Sie spielten in Ihrer Jugend beim FC Lugano. Wären Sie lieber Profifussballer als Popstar geworden?

Fussball war schon immer meine Leidenschaft, aber mit 13 oder 14 hörte ich auf, als aus dem Spiel Ernst wurde. Andere Dinge waren mir wichtiger, wobei die Musik erst später kam. Fussballfan bin ich trotzdem geblieben, für den FC Genua und Italien – sogar bei einem Spiel gegen England. Ich freue mich schon auf die Euro!

Welche Gedanken haben Sie sich anlässlich Ihres 40. Geburtstags gemacht?  

Ich denke, mit dem Älterwerden verändern sich deine Werte, deine Verantwortlichkeiten. Du versuchst mehr, dich und die Menschen, die du liebst, glücklich zu machen, und schaust weniger auf andere. Deshalb ist «Miss Italia» eines der wichtigsten Alben, die ich je gemacht habe. Für mich.

Biografie

Jack Savoretti wurde am 10. Oktober 1983 als Sohn eines italienischen Vaters und einer deutschpolnischen Mutter in London geboren. Nach seiner Jugend im Tessin kehrte er nach England zurück, wo er 2006 seine erste Single veröffentlichte. Der Durchbruch gelang ihm 2015 mit dem vierten Album «WRITTEN IN SCARS» und dem Hit «Home», die letzten beiden «Singing To Strangers» und «Europiana» erreichten sogar Platz eins. Die Lieder auf «Miss Italia» hat er erstmals auf Italienisch geschrieben. Savoretti ist mit der Schauspielerin Jemma Powell verheiratet, hat drei Kinder und lebt in England.

Photos Copyrights: Jack Savoretti, Chris Floyd

Das ist los!

Wo steckt eigentlich die Hoffnung?

Fast unbemerkt hat in unserer luxuriösen Vorstadtvilla eine kleine, aber feine Depression Einzug gehalten. So wie das miese Wetter der letzten Wochen kroch sie langsam die Wände hoch und setzte sich in den Ecken fest. In einer Zeit des, mitten in Europa so deutlich vor Augen geführten Krieges, einer gerade überstandenen Pandemie, der sich bereits ankündigenden nächsten Wirtschafts- und Bankenkrise – wen wundert es, wenn die mentale Gesundheit etwas auf Slow-Motion surrt?

Der erste Schritt, ein Problem zu beheben, ist, es zu erkennen! Wir brauchen etwas Schwung in der Bude, also kremple ich die Ärmel meines Ralph Lauren-Hemdes hoch und warte auf eine zündende Eingebung! Als Adam, mein Dosenöffner und Mitbewohner, Stunden später von der Arbeit heimkommt, stehe ich immer noch und versuche meine Gedanken zu ordnen. Mittlerweile hat sich eine gewisse Hoffnungslosigkeit ausgebreitet und beginnt, mein Herz eisig zu umklammern. Diese ewig schlechten Nachrichten – ich habe sie so satt! Wie soll ein Kater das alles stemmen?

Adam steht wohl schon eine ganze Weile und betrachtet besorgt, wie ich zur Salzsäule erstarrt und mit leerem Blick als lebende Deko in unserem Wohnzimmer herumstehe. Nach einem halbherzigen Versuch, mich aufzumuntern, verschwindet er schliesslich in unserem Luxus-Spa-Badezimmer. Mittlerweile ist es dunkel geworden und ich starre stumm in die Finsternis. Die Hoffnung schaut auch nicht auf einen Sprung vorbei, sie bleibt, wo sie ist, verschollen. Plötzlich dringt von draussen laute Musik. «Grönemeyer kann nicht tanzen», grölen die Ärzte aus einem Autoradio und der Takt der Musik setzt sich sofort in meinen Ohren fest. Plötzlich beginnen meine Zehen zu zappeln. Die Musik weckt mich nach und nach aus meiner Starre und  schiebt die eiserne Kälte weg. Langsam steigt Aufregung vom eisigen Boden hinauf in jede einzelne Fellspitze. Dann beginne ich, mich zu bewegen, klopfe den Takt mit meinem Schwanz, mache zackige Bewegungen und fege schliesslich mit wild rudernden Armen und spastisch anmutenden Bewegungen durch den Raum. Grönemeyer kann nicht tanzen? Ich aber schon und ich tanze mir den ganzen Frust von der Katerseele. In einem ausdrucksstarken Contemporary springe, kugle, falle ich, steige hoch, purzle herum … ich recke die Arme zum Himmel, mein Atem geht unrhythmisch, der Blick irr. Das Wohnzimmer ist komplett durcheinander gefegt, doch die negativen Gedanken sind verschwunden. Keine muffige Schwermut mehr vorhanden! Welch eine Erlösung! Ich bin in diesem Moment unendlich dankbar!

Da steht Adam wie ein Gespenst im weissen Seidenpyjama vor mir und starrt mich mit riesigen Augen an. Aus der Soundanlage dröhnt laute Musik. «Sag mal, hast du den Verstand verloren?», bricht es aus ihm heraus. «Nein, die Hoffnung, aber ich hab sie wiedergefunden», referiere ich ungeduldig wie alle Wissenden. Entsetzt sieht mich Adam an. «Aber, was ist denn los!»

«Das ist los!», spucke ich ihm, diabolisch lachend, ins entsetzte Gesicht, schmeisse die Wohnzimmertüre zu und tanze wild gestikulierend weiter. Ich wäre nicht ich, wenn ich aus meiner Erfahrung nicht Kapital geschlagen hätte. Nur Stunden später ist unser Hobbykeller zu einem Tanzsaal mit Power-Musikanlage umgestaltet. Mit Eurozeichen in den Augen reibe ich mir schon mal die Pfoten und poste eifrig «Hope» über alle Kanäle des World Wide Web.

Illustration: Manuela Dona

Ich singe wie ich küsse

Herbert Grönemeyer (66) hält der Welt auf seinem neuen Album «Das ist los» den Spiegel vor und versucht trotz aller Krisen Optimismus zu verbreiten.

Mit dem Eröffnungslied «Deine Hand» umreissen Sie die Tonalität Ihres neuen Albums – irgendwo zwischen Angst und Hoffnung. Wo liegt sie auf einer Skala zwischen 1 und 10?
Spontan würde ich sagen: Die Angst bei 4 und die Hoffnung bei 7.

Welche Reaktion halten Sie für angezeigt?
Ich glaube, dass die Zeit massiv drängt und ganz viele Menschen aus dem Schlaf gerissen werden müssen. Wir haben es uns in unserem Komfort lange sehr gut eingerichtet, aber nun ist die Situation so dramatisch, dass wir begreifen müssen, dass wir auf diese Art in vielerlei Hinsicht nicht mehr weitermachen können. So ist es nur legitim, Forderungen zu stellen und Veränderungen zu wollen.

Was gibt Ihnen Anlass, da optimistisch zu sein?
Wenn man all den Krisen in den letzten Jahren etwas Positives abgewinnen kann, dann ist es, dass sie uns so sensibilisiert und offenporig gemacht haben, dass uns gewisse Dinge mehr berühren als zuvor. Wir schaffen es nicht mehr so leicht, Themen schnell wieder zu verdrängen.

Woran denken Sie?
Die Situation im Iran, das eigentlich weit weg und doch sehr präsent ist. Jetzt, wo wir die Bilder aus dem Ukraine-Krieg täglich vor Augen haben, können wir uns auch viel besser vorstellen, wie grausam der Bürgerkrieg in Syrien war.

Ist die Klimakrise durch den Ukraine-Krieg und die Rohstoffknappheit nicht etwas in Vergessenheit geraten?
Nein, seltsamerweise nicht, obwohl es den Reflex gibt, dass man sich ja nicht ständig mit allem beschäftigen kann. Es stimmt: Zwischendurch braucht man mal eine Pause. Die Pandemie und die Inflation haben jedoch manche Dinge sichtbarer gemacht, etwa, dass in Deutschland 13 Millionen Menschen von Armut betroffen sind, also jede und jeder Sechste. Aus diesem Grund habe ich mit einigen Freunden eine Gruppe gegründet, die sich mit dem Thema beschäftigen will.

Wie ist der Titelsong «Das ist los» entstanden?
Mein Walisischer Produzent Alex Silva spricht noch immer relativ schlecht Deutsch, obwohl er schon seit zwanzig Jahren in Berlin lebt. Das liegt daran, dass er sehr charmant ist und die meisten Leute deswegen mit ihm Englisch sprechen. Wenn ich ihn anrufe und frage, was bei ihm los ist, sagt er immer: «Das ist, was ist los.» Ein Übersetzung der Redewendung «That’s what’s hapenning.» Er selbst hat sie aufgenommen, singt auch mit und steuerte noch diesen Gitarrensound bei. Daraus haben wir in einem Studio in Schweden diesen Song gebastelt, indem wir im Schnelldurchlauf irgendwelche Namen und Schlagworte runterknattern.

Wollen Sie dem Album mit dieser an «Da Da Da» anklingenden Nummer etwas Leichtigkeit verleihen?
Stimmt, das Lied erinnert an Trio und ist musikalisch eine Mischung aus Neuer Deutscher Welle und Rock’n’Roll sowie inhaltlich eine Persiflage auf den ganzen Informationswahn. Wie einst «Männer», bei dem ich trotzdem ernsthaft gefragt wurde, ob es sich bei diesem Song um das Psychogramm des Mannes handeln würde, ist «Das ist los» jedoch vor allem eine Spassveranstaltung

Was bedeutet Ihnen das Tanzen, das in mehreren Liedern vorkommt?
Für mich ist es eine Möglichkeit zu vergessen. Wenn man ein oder zwei Stunden tanzt – falls es die Kondition zulässt auch länger – hat man sogar in solchen Zeiten die Chance, den Kopf mal freizukriegen. Und da ich, wie jeder weiss, auch auf der Bühne ein grosser Tänzer bin, singe ich gerne drüber. Manchmal schleicht sich das Wort fast unbemerkt in einen Text, wie in «Baby, you wanna dance» bei «Herzhaft». Ich habe die Zeile schon im englischen «Bananen-Text» gesungen und keine passende Übersetzung gefunden. Das klang immer viereckig.

Hatten Sie beim Tanzen nie Hemmungen?
Nein, nie! Ich war in meiner Pubertät oft in Frankreich und habe dort auch in Kneipen gespielt. Dann brachten mir die Franzosen und Französinnen ihren Rock’n’Roll bei, den sie zweihändig und mit unglaublichen Verdrehungen, Unterzügen und Überwürfen tanzten. Wenn ich den in Deutschland an Partys vorgeführt habe, konnte ich die Leute enorm beeindrucken. Wobei man anfangs der Siebzigerjahre nicht nur jeden Samstag an eine Party ging, sondern bei mindestens zwei oder drei Partys vorbeischaute. Später ging ich eine Zeit lang nach den Konzerten – sehr zum Leidwesen meiner Bodyguards – an Technopartys und tanzte meinen Adrenalinspiegel runter.

Für Ihre tänzerischen Bewegungen auf der Bühne werden Sie manchmal belächelt …
Satiriker Wiglaf Droste und Bela B. von den Ärzten machten sich sogar in einem Lied über mich lustig: «Grönemeyer kann nicht tanzen». Sie hatten sich in den Achtzigerjahren bei einem Konzertbesuch gefragt, wer dieser Typ ist, der so ungewöhnlich tanzt, und dachten, ich würde mich tierisch über den Song aufregen, aber ich fand ihn witzig. Wir im Ruhrgebiet sind diesbezüglich schambefreit, da wir ganz allgemein und speziell wegen unserer komischen Sprache als nicht ganz dicht gelten!

Sie hatten auch mit Ihrem Gesangsstil nie ein Thema, oder?
Nein, ich bin auch da völlig hemmungslos, denn es ist mein persönlicher Ausdruck. Es ging mir immer extrem auf die Nerven, wenn Produzenten an meiner Art zu singen herumdoktern wollten, obwohl ich ihnen sagte, dass mein Vorbild Bob Dylan war, von dem man kein Wort versteht. Ich sagte mir: Ich singe, wie ich singe, und ich küsse, wie ich küsse. Da gibt es auch keine Jury.

«Genie» ist eine Aufforderung, gross zu träumen. Haben Sie das schon immer getan oder erst aus einer bestimmten Erfahrung heraus?
Ich habe schon früh gespürt, dass man in die Aktion kommen muss. Anerkennung bekam ich zum Beispiel, wenn ich beim Kaffeekränzchen meiner Mutter ein Lied sang und auf meiner Ukulele spielte.

Sie besingen die Frauen nicht nur als Geliebte, sondern auch als Heldinnen und Retterinnen. Sind sie die grösste Hoffnung, die der Menschheit bleibt?
Ihr Mut und ihre Energie sind momentan wahnsinnig gefragt, da der Kampf um die Gleichstellung und Gleichberechtigung noch lange nicht gewonnen ist. Mit ihrer weiblichen Intelligenz und Denkweise, aber auch ihrer Radikalität und Militanz, die man gerade im Iran sieht, wo die Frauen mit ihrer unglaublichen Courage und Tapferkeit trotz Todesdrohungen beeindrucken, könnte es ihnen gelingen, die Krisen dieser Welt in den Griff zu kriegen.

Wie kam es zu den eher ungewöhnlichen Liebes-liedern auf dieser Platte?
Die Zeile «Manchmal legt der Tau sich auf mich» in «Tau» beschreibt die Melancholie, wenn einem die grossen Glücksgefühle nicht geheuer sind, da sie fast zu schön sind, um von Dauer zu sein. «Tonne Blei» handelt von einer egoistischen und obsessiven Beziehung. «Urverlust» fasst den Schmerz in Worte, wenn man rückblickend erkennt, dass man in der Vergangenheit Fehler gemacht hat, nach denen dein Leben eine falsche Richtung nahm.

Nehmen Sie sich mit 66 zwischen den Plattenproduktionen und Tourneen öfter Auszeiten, etwa um Ferien in Ihrer Wohnung in Celerina zu machen?
Nein, ich könnte darüber dachdenken, vielleicht etwas kürzerzutreten, doch ich bin nun mal sehr rastlos und schaffe mir immer neue Aufgaben, weil ich sonst Angst habe, dass ich stillstehe. Früher habe ich neben Theater oder Musik auch noch Sport getrieben. Daran habe ich immer noch Freude, doch dann hatte ich in Celerina einen solchen Husten, dass ich keinen Ton mehr herausbrachte.

Vor einer Tournee hätten Sie aus Versicherungs-gründen wohl eh nicht Skilaufen dürfen …
Genau, deshalb und weil es ein gutes Konditionstraining ist, wollte ich eigentlich Langlauf machen. Wegen der
Erkältung konnte ich jedoch nur Spazieren gehen und die gute Luft geniessen.

Fotocredits: Victor Pattyn

Der Kreative

Die deutsche Vogue bezeichnet Thom Pfister als einen der kreativsten Designer. Dior, Prada und Levi’s haben für ihre Kampagnen mit ihm zusammengearbeitet und nicht umsonst wurden seine ikonischen Arbeiten mit mehr als 250 Kreativ-Awards ausgezeichnet.

Die Handschrift von Thom Pfister ist unverkennbar. Kaum einer vermischt die Disziplinen wie Grafik, Fotografie, Malerei, Illustrationen so gekonnt wie er. Von Hause aus als Grafiker arbeitete er einige Jahre als Designer im renommierten Studio Achermann, dann in London. Er führte Agenturen in Zürich und Bern und gründete 2021 das Studio Thom Pfister in seiner alten Heimat Bern.

Thom, gleich zu Beginn eine ketzerische Frage. Du lebst und arbeitest in Bern. Wäre nicht eher Zürich «the Place to be» für Kreative?
Kreativität, Inspiration und Freundschaften sind für mich nicht an einen Ort gebunden. Unser Studio fühlt sich hier wohl und es bringt auch eine gewisse Gelassenheit mit sich. Als Kreativen zwingt Bern aber auch dazu, immer wieder unterwegs zu sein. Gerne auch immer mal wieder Zürich.

Nun zu deiner «Paradedisziplin». Was kann Design?
Design ist keine reine Formsache, sondern zukunftsweisend, kritisch und visionär. Gutes Design hat eine unglaubliche Kraft und eine wundervolle, ansteckende Energie. Es gibt etwa 7’000 unterschiedliche Sprachen auf der Welt und unzählige Dialekte. Sie haben sich über viele Jahrhunderte entwickelt und verändern sich immer wieder aufs Neue, ich denke, das trifft auch auf den Begriff Design zu.

Fest steht, dass gutes Design kein Verfallsdatum besitzt. Was sind für dich hierbei die wichtigsten Ingredienzien?
Der wichtigste Bestandteil ist es, Menschen zu lieben. Dazu kommt ein grosses Interesse an guter Fotografie, Film, Typografie und Farbe. In der Essenz der Beilagen sollte immer genügend Spass dazukommen. Musik, Kunst, Mode, Illustration und das Gefühl der Formensprache.

Polarisieren oder Gefallen?
Begeistern und inspirieren vielleicht eher. «Polarisieren» ist oft zu kurzfristig angelegt, «gefallen» hingegen zu flach, weil es mir nicht um das Dekorieren geht, sondern darum, mit Design Ideen und Haltung zu schaffen.

Betrachtet man deine Arbeiten, fällt einem eine starke Affinität zur Modewelt auf. Woher kommt diese Liebe?
Schon als kleiner Junge hatte ich mir immer die Modezeitschriften meiner Eltern geschnappt. Meistens hatte ich, bevor meine Mutter die Vogue lesen konnte, die Bilder und Texte ausgeschnitten und in meine Moleskin-Bücher geklebt. Später habe ich während meiner Zeit an der Kunstgewerbeschule in Modehäusern gearbeitet, wo ich Schaufenster gestaltete und Preislisten schrieb. Übrigens hatte mich das Team von Levi’s beim Dekorieren der Schaufenster «entdeckt». So konnte ich schon während meiner Ausbildung zum Grafiker meine erste Levi’s-Kampagne realisieren.

Im Laufe der Zeit verändert sich Design. Inwiefern hat sich die visuelle Ästhetik im Zuge der Digitalisierung verändert?
Es ist unglaublich vielseitiger, spannender und kreativer geworden. Einfach wundervoll.
Das Design darf sich im digitalen Raum noch mehr entfalten und auf viele animierte Elemente zugreifen. Auch die Materialität hat für mich wenig verloren. Zurzeit arbeiten wir an verschiedenen Magazin-Projekten im Print (und digital), das bestärkt mich in der Zuversicht.

Dass du alles richtig gemacht hast, davon zeugen deine mittlerweile 250 internationalen und nationalen Auszeichnungen und Awards …
Ich finde es wichtig, sich national und international mit anderen Kreativen zu messen. Das ist nicht nur für unsere Kunden eine wichtige Ausprägung, sondern auch für uns selbst. Einen Award zu gewinnen ist immer eine tolle Anerkennung, sollte aber nicht das Ziel einer Arbeit sein.

Du selbst bist stilvoll vom Scheitel bis zur Sohle, das Schöne umgibt dich Tag für Tag. Waren Ästhetik und die Liebe zum Design schon immer deine Begleiter im Leben?
Danke. Ästhetik hat mich in der Tat immer begleitet, interessiert und eine grosse Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Sie ist ein Teil von mir. Das Spektrum von Ästhetik, Schönheit und gutem Design ist etwas, das einen anrührt. Ich denke dabei auch an ein schönes Theaterstück. Ich gehe ins Theater und erlebe plötzlich etwas Besonderes. Ich glaube, dass Schönheit nicht demokratisierbar ist. Sie ist etwas sehr Persönliches. ⁄

Photo: Ciryll Matter, Zürich, Thom Pfister

Mission Lebenssinn

Der Kater spielt Foul

„Ich kann nicht mehr!“  Mit diesen total aus dem Zusammenhang gerissenen und somit unverständlich theatralischen Worten betrat Adam, mein menschlicher Dosenöffner, unser trautes Heim, fetzte seine Laptoptasche in die erstbeste Ecke und verschwand in den Tiefen unseres Gartens.

Im schräg einfallenden Licht tanzten Staubpartikel, die Luft schien irgendwie elektrisiert.

Ich liess ihm ein paar Minuten, bevor ich ihn in der Hängematte bei unserer riesigen Blutbuche aufstöberte. Dieser Baum hatte schon des öfteren Abschnitte und Abzweigungen in unser beider Leben begleitet. In der Rinde fanden sich zahlreiche Markierungen, Herzen, Namen von verlorenen Lieben und Daten von Lebensabschnitten, eingeritzt.

Stumm setzte ich mich zu seinen Füssen und wartete. Schliesslich begann er mit geschlossenen Augen und schwacher Stimme zu sprechen. „Diese Arbeit erfüllt mich nicht! Der ständige Stress, Aufregungen wegen Kleinigkeiten, permanent der Kritik der Kollegen und Vorgesetzten ausgesetzt – ich habe den ganzen Tag das Gefühl hinterherzuhecheln.

Noch dazu habe ich mir diese Doppelbelastung mit der Elite-Ausbildung an einer der renommiertesten Institute in der Schweiz aufgehalst. Das verlangt einem wirklich alles ab! Ich wollte unbedingt weiterkommen, aber meine Talente werden in keinster Weise geschätzt, ja nicht einmal benötigt. Ich habe heute gekündigt. Ich möchte das Leben geniessen, reisen, einen Marathon laufen, malen oder ein Buch schreiben. Ich könnte Gesangsunterricht nehmen, ich hatte immer einen sehr schönen Tenor – warum nicht!“

Entsetzt starrte ich ihn an, meine Ohren legten sich gefährlich an und mein Schwanz peitschte nervös ins Gras! Sein  Gejammer hatte meine Toleranz- und Akzeptanzgrenze gleichzeitig zum Mond geschossen.

Er will ein erfülltes Leben führen, dachte ich verstört. Wozu?

Eine unerträgliche Vorstellung, wenn Adam den ganzen Tag zu Hause rumhängen und laut grölend meine gewohnten Abläufe stören würde. Länger als 2 Tage halte ich dieses, ständig sinnlose Thesen vertretende, Menschenwesen nicht in meiner Nähe aus.

„Du warst doch bisher glücklich! Denke einfach ein wenig darüber nach, wo du deine Linie ziehst und auf welche Dinge du nicht verzichten willst“, sagte ich verständnisvoll.

Für mich dachte ich, dass essen, schlafen und ab und zu joggen doch genug sein müsste für so einen schlichten Amöben-Zellenhaufen.

Schliesslich legte ich mich voll ins Zeug und überzeugte ihn, dass er eine andere Arbeit suchen müsse. Jeder Mensch brauche ein Ziel und Erfüllung kriege man nicht geschenkt – man müsse sie sich hart erarbeiten! Man könne auch einiges miteinander verbinden. Zu Hause rumhängen gehe gar nicht, denn schliesslich habe er ein Heim zu erhalten und trage Verantwortung für einen verwöhnten Kater, dessen Lebensstandard nun wirklich nicht verhandelbar sei.

Mit dieser Breitseite liess ich ihn in der Hängematte zurück, schlenderte zuversichtlich und erhobenen Haupts ins Haus und machte mich daran, Stellenanzeigen rauszusuchen und gefinkelte Bewerbungen zu schreiben, während er mit einem Messer am Baumstamm  rumkratzte.

Wie es ausgegangen ist? Dank meiner Bewerbung hat er nahtlos einen neuen Job gefunden. Um seine Lust zu reisen zu befriedigen, fährt er nun jeden Tag laut singend eine Stunde ins neue Büro auf dem Land. Nach der Arbeit geht er dort im Grünen gleich joggen und trainiert für einen Marathon, den er nie laufen wird. Wenn er dann total erschöpft heimkommt, schicke ich ihn duschen und nehme das Abendessen vom Luxus-Lieferservice entgegen.

Wir führen ein glückliches, erfülltes Leben – ich auf jeden Fall!

 

Copyright Illustration: Manuela Dona

Ludovico Einaudi

Ein Interview mit dem italienischen Komponisten

Der italienische Pianist und Komponist Ludovico Einaudi (66) ist der meistgestreamte klassische Künstler aller Zeiten. Er füllt mit seiner Musik, die teilweise einen meditativen bis loungigen Charakter hat, Konzertsäle und Poptempel. ADAM THE MAGAZINE sprach mit ihm über die Entstehung seines neuen Albums «Underwater».

Ihre Musik ist Balsam auf die Pandemie-geplagte Seele.  Eigentlich müsste man «Underwater» auf Rezept bekommen…
Ja … (schmunzelt), sagen wir es so: Es besteht tatsächlich eine Verbindung zwischen dieser Musik und der Situation, in der wir uns befinden. Die ersten Stücke sind vor zwei Jahren entstanden. Ich kam gerade von Konzerten in Australien und Singapur zurück, als in China die ersten Anzeichen von Covid auftauchten, aber noch niemand dachte, dass dieses Virus auch uns erreichen könnte. Dann ist es auch hier in Norditalien explodiert und der Lockdown gekommen. Ich wollte eigentlich nur eine Woche in unserem Haus in den Bergen verbringen, doch dann wurden einige Monate draus.

Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Es war, als ob alle Aktivitäten auf der Welt angehalten worden wären. Das hatte ich vorher noch nie erlebt, niemand hatte das je erlebt. Wenn man all das Leid, das viele Menschen erfuhren, ausklammert, hatte die plötzliche Ruhe und Stille auch Positives. Es gab fast keine Flugzeuge am Himmel, die Luftverschmutzung war reduziert und die Fische kehrten in die Lagune von Venedig zurück. Es war, als ob die Natur uns sagen wollte, wir sollten alles ein wenig ruhiger angehen lassen und den Planeten nicht so stressen.

Haben Sie sich daran gehalten?
Ich begann diese Tage, an denen ich keine Verpflichtungen hatte, auszukosten und fühlte mich fast wie ein Teenager, der in den Tag hineinlebt und nur das macht, was er liebt. Ich ging spazieren, setzte mich danach ans Piano, komponierte, nahm Stücke auf … Alles war im Fluss, ohne Druck, ohne genaues Ziel. Eigentlich wollte ich kein neues Album machen.

Sondern?
Ich habe alles aus Lust und Freude getan, denn ich hatte uneingeschränkt Zeit. Da niemand wusste, wann die Pandemie ein Ende haben würde, hatte ich das Gefühl von Unendlichkeit. Ich begann einige Ideen zu Papier zu bringen. Die Stücke wuchsen mir besonders ans Herz, weil diese Musik zu mir gekommen war, ohne dass ich sie gesucht hatte. Dann merkte ich, dass ich sie gerne mit anderen teilen wollte.

«Underwater» ist Ihr erstes Solo-Klavieralbum seit 20 Jahren …
Ja, wobei mir das zu Beginn gar nicht bewusst war, da auch auf anderen Alben vereinzelt Solo-Klavierstücke vorkamen. Mir gefällt es, zu dieser puren Form zurückzukehren, dem Dialog zwischen Klavierspieler und Instrument, der ein Geben und Nehmen ist. Durch die Atmung und Bewegung wirkst du auf das Klavier ein, worauf es den Klang zurückgibt, der wieder zur Atmung führt. Es ist fast wie Didgeridoo spielen! (Lacht)

Was hat Sie zum Albumtitel inspiriert?
«Underwater» steht für einen Klang, der nicht aus unserem Alltag kommt, in dem die Welt pulsiert und sich bewegt, sondern aus einer Sphäre, in der alles runder und gedämpfter ist. Unter Wasser hört man den eigenen Atem, den Puls, und nimmt sich anders wahr.

Wofür steht der Schwan auf Ihrem Cover?
Im antiken Griechenland war er ein Symbol für Schönheit und Anmut. Für Apollo, den Gott der Poesie und Musik, galt er als heilig. Der Schwan steht ausserdem für Tiefe und erinnert dich daran, deinem Instinkt – dem Fluss des Lebens – zu folgen.

Stimmt es, dass Sie das Foto selbst gemacht haben?
Ja, schon seit ich 14 bin, ist das Fotografieren, vor allem mit Filmen, eine grosse Leidenschaft von mir. Ich habe eine kleine Kamera-Sammlung und liebe es, auf Spaziergängen oder Tourneen zu fotografieren. Meine Konzerte beginnen oft mit Projektionen von Bildern, die ich gemacht habe.

Wie entstehen Ihre Kompositionen?
Die ersten Ideen entstehen bei Improvisationen, aus einem irrationalen rhapsodischen Impuls heraus. Dann spiele ich die einzelnen Teile immer wieder, überarbeite sie, schreibe die Noten manchmal von Hand in meine Hefte. Durch die wiederholte Beschäftigung nehmen die Stücke langsam eine Form an, mit der ich zufrieden bin. Nach dieser ersten Phase der Verfestigung können bei der Aufführung vor Publikum noch weitere Variationen entstehen, welche die Komposition nur für diesen Abend oder dauerhaft verändern. Interessanterweise weiss ich beim Aufnehmen eines Albums nie, welche Stücke ich auf Dauer besonders gerne spielen werde und welche bekannter werden. Das ist sehr unterschiedlich.

Wie würden Sie Ihre Musikphilosophie beschreiben?
Es gefällt mir, wenn man bei Konzerten, auch den eigenen, eine gewisse Loslösung von den Originalaufnahmen heraushört und eine nicht erzwungene Intensität. Als ob sich die Musik von selbst spielen und von einer konstanten Energie vorangetrieben würde. Um alle Emotionen auszudrücken zu können, die mir wichtig sind, Freude, Kraft, Melancholie und Trauer, muss ich mich in die Musik vertiefen können und eine innere Ruhe finden, was mir jedoch nicht immer gelingt.

Ihre Musik inspiriert auch, weil sie viel Raum für eigene Gedanken lässt. Welche Wirkung hat sie, wenn Sie selbst Ihre Aufnahmen hören?
Ich erkenne sofort ihre Stärken und Schwächen und überlege, ob ich das ausdrücken konnte, was ich wollte. Ich identifiziere mich mit dem Klang und spüre, ob dieser Klang zu sprechen vermag und dem Publikum all das vermittelt, was in ihm steckt. Natürlich ist es jedem freigestellt, was er darin hören möchte, aber mir ist wichtig, dass er (der Klang) für mich stimmig ist.

Was bedeutet es Ihnen, der meistgestreamte, klassische Musiker aller Zeit zu sein?
Ich denke nicht zu sehr an die Zahlen. Zu wissen, dass immer mehr Menschen meine Musik hören, motiviert mich jedoch zusätzlich, meine Arbeit immer besser zu machen und nur das zu tun, wovon ich gänzlich überzeugt bin. Der Erfolg ändert aber nichts an meiner Leidenschaft, den Zielen, die ich verfolge, und der Beurteilung meiner Arbeit. Ich bin da sehr kritisch und gebe mich nicht schnell zufrieden.

Ludovico Einaudi wurde am 23. November 1955 in Turin in eine einflussreiche Familie hinein geboren. Ein Grossvater war Staatspräsident von Italien, der andere Komponist und Dirigent, der Vater Verleger. Ludovico lernte schon früh, Klavier zu spielen, ging aufs Konservatorium und begann dann Bühnen- und Filmmusik zu schreiben sowie mit minimalistischen, von Philip Glass und Erik Satie inspirierten Solo-Klavierprogrammen aufzutreten. Sein bekanntester Soundtrack ist die Musik zum Kinohit «Ziemlich beste Freunde». Sein aktuelles Album «Underwater» (Universal Music) enthält zwölf meditative Piano-Instrumentalstücke.

 

Photos Copyrights: Ray Tarantino / Universal Music

Das Universum schweigt!

Anschauungen eines Katers

Wie immer, wenn in meinem Leben etwas so gar nicht im Lot ist, sitze ich am Fenster unserer noblen Luxusliegenschaft und starre fragend in den Sternenhimmel. Was ist mit der Welt los? Was geht hier ab? Doch ausser einem atemberaubenden Sternenrausch hat das Himmelszelt keine Antwort auf die Fragen eines Sinn suchenden Katers.

Wer versalzt mir die Suppe und hinterlässt bittere Geschmacksnoten in meinem bisher so privilegierten Leben. Wo ist das schöne, unbeschwerte Leben geblieben? Wo? Die Menschheit ist gespalten in Gut und Böse, Schwarz und Weiss, laut und stumm, Arbeitswillige und -suchende, Raser:innen und Bremser:innen, Impfbefürworter:innen und -gegner:innen. Es gibt kein Dazwischen mehr, es fehlen die Schattierungen, die Zwischentöne. Kann man sie überhaupt noch erkennen, die Grautöne in unserer Gesellschaft? Seit zwei Jahren zwingt uns eine Pandemie in die Knie, die Wirtschaft liegt am Boden und erholt sich nur langsam. Nach wie vor bestimmen Viren und immer noch Masken, mit zwischenzeitlich nervenden Regeln und menschlichen Tragödien, unseren Alltag. Politikverdrossenheit greift um sich. Ein Skandal jagt den anderen. Das Vertrauen in unsere Volksvertreter ist nahezu bei null, wenn die Um- fragen nicht stimmen, werden sie frisiert, verbogen oder mit falschen Bewertungen verschönert. Urwälder brennen, die Weltmeere ersticken im Plastikmüll, die Polkappen schmelzen und täglich sterben über hundert Tierarten unwiederbringlich aus, weil Profit- und Machtgier um sich greifen.

Was ist mit der Menschheit passiert? Was war der Auslöser? Welches Chromosom fehlt? Die Welt wird untergehen, wenn der Menschheit das Vertrauen fehlt, dass sie auch morgen noch lebenswert ist. Wie können wir die Kurve kratzen und was hält die Welt wirklich noch am Laufen und was bringt den Puls wieder zum Schlagen? Ich suche in den Himmel starrend nach Antworten, aber das Universum schweigt. Stille. Pure Stille. Plötzlich nehme ich im Garten ein zartes Rascheln wahr. Ich sehe einen magischen Schatten an der Mauer, der schnell aus meinem Augenkegel verschwindet. Leises, vorsichtiges Vorantasten im herbstlich feuchten Laub. Fast schon glaube ich, dass ich mich geirrt habe, da dringt ein sanfter, aber unglaublich betörender Duft zu meiner Nase empor und steigert sich zu einem Geruchsorkan, der eindeutig und doch schwer zuordenbar ist. Meine Schnurrhaare vibrieren, meine Lauscher sind auf Empfang gestellt, der Schwanz peitscht unaufhörlich hin und her. Was passiert hier? Ich bin hellwach und doch einer betörenden Ohnmacht nahe. Ist das die Antwort des Universums oder ein Zeichen vom Kosmos? Da kriecht langsam der Mond über die Dachkante und ein Lichtstrahl fällt in den nächtlichen Garten. Dann sehe ich sie. Sie sitzt wie eine Madonna aufrecht auf der Steinmauer, elegant, engelsgleich und gar nicht versteckt, im Lichtkegel des Mondes. Unerträglich langsam dreht sie den Kopf und sieht mich mit einem sanften Augenaufschlag direkt an. Ihr Blick hält mir stand. Sie erhebt sich und dreht sich langsam zur Dunkelheit des Gartens. «Nein nicht weggehen», schreit jede Faser meines Körpers, doch meine Stimme bleibt stumm. Sie dreht sich noch einmal um, blickt herausfordernd und in Sekundenbruchteilen ist der Spuk vorbei. Wie ein Bann fällt die Schockstarre von mir ab. Ich strecke meinen Kopf durch die Katzenklappe der Terrassentür, daraus wird ein kühner, aber eleganter Hechtsprung, tauche in die Finsternis ein und folge der Duftspur, die mir den Weg zum einzigen weist, was die Welt weiterdrehen lässt. Nämlich Liebe. Vielleicht wird die Welt untergehen – irgendwann – aber heute Nacht noch nicht! Miauuuu!

*) In meinen Erzählungen spreche ich natürlich alle Geschlechter an (m/d/w).

 

Illustrationen Copyrights: Adam´s Tomcat, Manuela Dona