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Call Me Adam

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Der Kreative

Die deutsche Vogue bezeichnet Thom Pfister als einen der kreativsten Designer. Dior, Prada und Levi’s haben für ihre Kampagnen mit ihm zusammengearbeitet und nicht umsonst wurden seine ikonischen Arbeiten mit mehr als 250 Kreativ-Awards ausgezeichnet.

Die Handschrift von Thom Pfister ist unverkennbar. Kaum einer vermischt die Disziplinen wie Grafik, Fotografie, Malerei, Illustrationen so gekonnt wie er. Von Hause aus als Grafiker arbeitete er einige Jahre als Designer im renommierten Studio Achermann, dann in London. Er führte Agenturen in Zürich und Bern und gründete 2021 das Studio Thom Pfister in seiner alten Heimat Bern.

Thom, gleich zu Beginn eine ketzerische Frage. Du lebst und arbeitest in Bern. Wäre nicht eher Zürich «the Place to be» für Kreative?
Kreativität, Inspiration und Freundschaften sind für mich nicht an einen Ort gebunden. Unser Studio fühlt sich hier wohl und es bringt auch eine gewisse Gelassenheit mit sich. Als Kreativen zwingt Bern aber auch dazu, immer wieder unterwegs zu sein. Gerne auch immer mal wieder Zürich.

Nun zu deiner «Paradedisziplin». Was kann Design?
Design ist keine reine Formsache, sondern zukunftsweisend, kritisch und visionär. Gutes Design hat eine unglaubliche Kraft und eine wundervolle, ansteckende Energie. Es gibt etwa 7’000 unterschiedliche Sprachen auf der Welt und unzählige Dialekte. Sie haben sich über viele Jahrhunderte entwickelt und verändern sich immer wieder aufs Neue, ich denke, das trifft auch auf den Begriff Design zu.

Fest steht, dass gutes Design kein Verfallsdatum besitzt. Was sind für dich hierbei die wichtigsten Ingredienzien?
Der wichtigste Bestandteil ist es, Menschen zu lieben. Dazu kommt ein grosses Interesse an guter Fotografie, Film, Typografie und Farbe. In der Essenz der Beilagen sollte immer genügend Spass dazukommen. Musik, Kunst, Mode, Illustration und das Gefühl der Formensprache.

Polarisieren oder Gefallen?
Begeistern und inspirieren vielleicht eher. «Polarisieren» ist oft zu kurzfristig angelegt, «gefallen» hingegen zu flach, weil es mir nicht um das Dekorieren geht, sondern darum, mit Design Ideen und Haltung zu schaffen.

Betrachtet man deine Arbeiten, fällt einem eine starke Affinität zur Modewelt auf. Woher kommt diese Liebe?
Schon als kleiner Junge hatte ich mir immer die Modezeitschriften meiner Eltern geschnappt. Meistens hatte ich, bevor meine Mutter die Vogue lesen konnte, die Bilder und Texte ausgeschnitten und in meine Moleskin-Bücher geklebt. Später habe ich während meiner Zeit an der Kunstgewerbeschule in Modehäusern gearbeitet, wo ich Schaufenster gestaltete und Preislisten schrieb. Übrigens hatte mich das Team von Levi’s beim Dekorieren der Schaufenster «entdeckt». So konnte ich schon während meiner Ausbildung zum Grafiker meine erste Levi’s-Kampagne realisieren.

Im Laufe der Zeit verändert sich Design. Inwiefern hat sich die visuelle Ästhetik im Zuge der Digitalisierung verändert?
Es ist unglaublich vielseitiger, spannender und kreativer geworden. Einfach wundervoll.
Das Design darf sich im digitalen Raum noch mehr entfalten und auf viele animierte Elemente zugreifen. Auch die Materialität hat für mich wenig verloren. Zurzeit arbeiten wir an verschiedenen Magazin-Projekten im Print (und digital), das bestärkt mich in der Zuversicht.

Dass du alles richtig gemacht hast, davon zeugen deine mittlerweile 250 internationalen und nationalen Auszeichnungen und Awards …
Ich finde es wichtig, sich national und international mit anderen Kreativen zu messen. Das ist nicht nur für unsere Kunden eine wichtige Ausprägung, sondern auch für uns selbst. Einen Award zu gewinnen ist immer eine tolle Anerkennung, sollte aber nicht das Ziel einer Arbeit sein.

Du selbst bist stilvoll vom Scheitel bis zur Sohle, das Schöne umgibt dich Tag für Tag. Waren Ästhetik und die Liebe zum Design schon immer deine Begleiter im Leben?
Danke. Ästhetik hat mich in der Tat immer begleitet, interessiert und eine grosse Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Sie ist ein Teil von mir. Das Spektrum von Ästhetik, Schönheit und gutem Design ist etwas, das einen anrührt. Ich denke dabei auch an ein schönes Theaterstück. Ich gehe ins Theater und erlebe plötzlich etwas Besonderes. Ich glaube, dass Schönheit nicht demokratisierbar ist. Sie ist etwas sehr Persönliches. ⁄

Photo: Ciryll Matter, Zürich, Thom Pfister

Mission Lebenssinn

Der Kater spielt Foul

„Ich kann nicht mehr!“  Mit diesen total aus dem Zusammenhang gerissenen und somit unverständlich theatralischen Worten betrat Adam, mein menschlicher Dosenöffner, unser trautes Heim, fetzte seine Laptoptasche in die erstbeste Ecke und verschwand in den Tiefen unseres Gartens.

Im schräg einfallenden Licht tanzten Staubpartikel, die Luft schien irgendwie elektrisiert.

Ich liess ihm ein paar Minuten, bevor ich ihn in der Hängematte bei unserer riesigen Blutbuche aufstöberte. Dieser Baum hatte schon des öfteren Abschnitte und Abzweigungen in unser beider Leben begleitet. In der Rinde fanden sich zahlreiche Markierungen, Herzen, Namen von verlorenen Lieben und Daten von Lebensabschnitten, eingeritzt.

Stumm setzte ich mich zu seinen Füssen und wartete. Schliesslich begann er mit geschlossenen Augen und schwacher Stimme zu sprechen. „Diese Arbeit erfüllt mich nicht! Der ständige Stress, Aufregungen wegen Kleinigkeiten, permanent der Kritik der Kollegen und Vorgesetzten ausgesetzt – ich habe den ganzen Tag das Gefühl hinterherzuhecheln.

Noch dazu habe ich mir diese Doppelbelastung mit der Elite-Ausbildung an einer der renommiertesten Institute in der Schweiz aufgehalst. Das verlangt einem wirklich alles ab! Ich wollte unbedingt weiterkommen, aber meine Talente werden in keinster Weise geschätzt, ja nicht einmal benötigt. Ich habe heute gekündigt. Ich möchte das Leben geniessen, reisen, einen Marathon laufen, malen oder ein Buch schreiben. Ich könnte Gesangsunterricht nehmen, ich hatte immer einen sehr schönen Tenor – warum nicht!“

Entsetzt starrte ich ihn an, meine Ohren legten sich gefährlich an und mein Schwanz peitschte nervös ins Gras! Sein  Gejammer hatte meine Toleranz- und Akzeptanzgrenze gleichzeitig zum Mond geschossen.

Er will ein erfülltes Leben führen, dachte ich verstört. Wozu?

Eine unerträgliche Vorstellung, wenn Adam den ganzen Tag zu Hause rumhängen und laut grölend meine gewohnten Abläufe stören würde. Länger als 2 Tage halte ich dieses, ständig sinnlose Thesen vertretende, Menschenwesen nicht in meiner Nähe aus.

„Du warst doch bisher glücklich! Denke einfach ein wenig darüber nach, wo du deine Linie ziehst und auf welche Dinge du nicht verzichten willst“, sagte ich verständnisvoll.

Für mich dachte ich, dass essen, schlafen und ab und zu joggen doch genug sein müsste für so einen schlichten Amöben-Zellenhaufen.

Schliesslich legte ich mich voll ins Zeug und überzeugte ihn, dass er eine andere Arbeit suchen müsse. Jeder Mensch brauche ein Ziel und Erfüllung kriege man nicht geschenkt – man müsse sie sich hart erarbeiten! Man könne auch einiges miteinander verbinden. Zu Hause rumhängen gehe gar nicht, denn schliesslich habe er ein Heim zu erhalten und trage Verantwortung für einen verwöhnten Kater, dessen Lebensstandard nun wirklich nicht verhandelbar sei.

Mit dieser Breitseite liess ich ihn in der Hängematte zurück, schlenderte zuversichtlich und erhobenen Haupts ins Haus und machte mich daran, Stellenanzeigen rauszusuchen und gefinkelte Bewerbungen zu schreiben, während er mit einem Messer am Baumstamm  rumkratzte.

Wie es ausgegangen ist? Dank meiner Bewerbung hat er nahtlos einen neuen Job gefunden. Um seine Lust zu reisen zu befriedigen, fährt er nun jeden Tag laut singend eine Stunde ins neue Büro auf dem Land. Nach der Arbeit geht er dort im Grünen gleich joggen und trainiert für einen Marathon, den er nie laufen wird. Wenn er dann total erschöpft heimkommt, schicke ich ihn duschen und nehme das Abendessen vom Luxus-Lieferservice entgegen.

Wir führen ein glückliches, erfülltes Leben – ich auf jeden Fall!

 

Copyright Illustration: Manuela Dona

Ludovico Einaudi

Ein Interview mit dem italienischen Komponisten

Der italienische Pianist und Komponist Ludovico Einaudi (66) ist der meistgestreamte klassische Künstler aller Zeiten. Er füllt mit seiner Musik, die teilweise einen meditativen bis loungigen Charakter hat, Konzertsäle und Poptempel. ADAM THE MAGAZINE sprach mit ihm über die Entstehung seines neuen Albums «Underwater».

Ihre Musik ist Balsam auf die Pandemie-geplagte Seele.  Eigentlich müsste man «Underwater» auf Rezept bekommen…
Ja … (schmunzelt), sagen wir es so: Es besteht tatsächlich eine Verbindung zwischen dieser Musik und der Situation, in der wir uns befinden. Die ersten Stücke sind vor zwei Jahren entstanden. Ich kam gerade von Konzerten in Australien und Singapur zurück, als in China die ersten Anzeichen von Covid auftauchten, aber noch niemand dachte, dass dieses Virus auch uns erreichen könnte. Dann ist es auch hier in Norditalien explodiert und der Lockdown gekommen. Ich wollte eigentlich nur eine Woche in unserem Haus in den Bergen verbringen, doch dann wurden einige Monate draus.

Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Es war, als ob alle Aktivitäten auf der Welt angehalten worden wären. Das hatte ich vorher noch nie erlebt, niemand hatte das je erlebt. Wenn man all das Leid, das viele Menschen erfuhren, ausklammert, hatte die plötzliche Ruhe und Stille auch Positives. Es gab fast keine Flugzeuge am Himmel, die Luftverschmutzung war reduziert und die Fische kehrten in die Lagune von Venedig zurück. Es war, als ob die Natur uns sagen wollte, wir sollten alles ein wenig ruhiger angehen lassen und den Planeten nicht so stressen.

Haben Sie sich daran gehalten?
Ich begann diese Tage, an denen ich keine Verpflichtungen hatte, auszukosten und fühlte mich fast wie ein Teenager, der in den Tag hineinlebt und nur das macht, was er liebt. Ich ging spazieren, setzte mich danach ans Piano, komponierte, nahm Stücke auf … Alles war im Fluss, ohne Druck, ohne genaues Ziel. Eigentlich wollte ich kein neues Album machen.

Sondern?
Ich habe alles aus Lust und Freude getan, denn ich hatte uneingeschränkt Zeit. Da niemand wusste, wann die Pandemie ein Ende haben würde, hatte ich das Gefühl von Unendlichkeit. Ich begann einige Ideen zu Papier zu bringen. Die Stücke wuchsen mir besonders ans Herz, weil diese Musik zu mir gekommen war, ohne dass ich sie gesucht hatte. Dann merkte ich, dass ich sie gerne mit anderen teilen wollte.

«Underwater» ist Ihr erstes Solo-Klavieralbum seit 20 Jahren …
Ja, wobei mir das zu Beginn gar nicht bewusst war, da auch auf anderen Alben vereinzelt Solo-Klavierstücke vorkamen. Mir gefällt es, zu dieser puren Form zurückzukehren, dem Dialog zwischen Klavierspieler und Instrument, der ein Geben und Nehmen ist. Durch die Atmung und Bewegung wirkst du auf das Klavier ein, worauf es den Klang zurückgibt, der wieder zur Atmung führt. Es ist fast wie Didgeridoo spielen! (Lacht)

Was hat Sie zum Albumtitel inspiriert?
«Underwater» steht für einen Klang, der nicht aus unserem Alltag kommt, in dem die Welt pulsiert und sich bewegt, sondern aus einer Sphäre, in der alles runder und gedämpfter ist. Unter Wasser hört man den eigenen Atem, den Puls, und nimmt sich anders wahr.

Wofür steht der Schwan auf Ihrem Cover?
Im antiken Griechenland war er ein Symbol für Schönheit und Anmut. Für Apollo, den Gott der Poesie und Musik, galt er als heilig. Der Schwan steht ausserdem für Tiefe und erinnert dich daran, deinem Instinkt – dem Fluss des Lebens – zu folgen.

Stimmt es, dass Sie das Foto selbst gemacht haben?
Ja, schon seit ich 14 bin, ist das Fotografieren, vor allem mit Filmen, eine grosse Leidenschaft von mir. Ich habe eine kleine Kamera-Sammlung und liebe es, auf Spaziergängen oder Tourneen zu fotografieren. Meine Konzerte beginnen oft mit Projektionen von Bildern, die ich gemacht habe.

Wie entstehen Ihre Kompositionen?
Die ersten Ideen entstehen bei Improvisationen, aus einem irrationalen rhapsodischen Impuls heraus. Dann spiele ich die einzelnen Teile immer wieder, überarbeite sie, schreibe die Noten manchmal von Hand in meine Hefte. Durch die wiederholte Beschäftigung nehmen die Stücke langsam eine Form an, mit der ich zufrieden bin. Nach dieser ersten Phase der Verfestigung können bei der Aufführung vor Publikum noch weitere Variationen entstehen, welche die Komposition nur für diesen Abend oder dauerhaft verändern. Interessanterweise weiss ich beim Aufnehmen eines Albums nie, welche Stücke ich auf Dauer besonders gerne spielen werde und welche bekannter werden. Das ist sehr unterschiedlich.

Wie würden Sie Ihre Musikphilosophie beschreiben?
Es gefällt mir, wenn man bei Konzerten, auch den eigenen, eine gewisse Loslösung von den Originalaufnahmen heraushört und eine nicht erzwungene Intensität. Als ob sich die Musik von selbst spielen und von einer konstanten Energie vorangetrieben würde. Um alle Emotionen auszudrücken zu können, die mir wichtig sind, Freude, Kraft, Melancholie und Trauer, muss ich mich in die Musik vertiefen können und eine innere Ruhe finden, was mir jedoch nicht immer gelingt.

Ihre Musik inspiriert auch, weil sie viel Raum für eigene Gedanken lässt. Welche Wirkung hat sie, wenn Sie selbst Ihre Aufnahmen hören?
Ich erkenne sofort ihre Stärken und Schwächen und überlege, ob ich das ausdrücken konnte, was ich wollte. Ich identifiziere mich mit dem Klang und spüre, ob dieser Klang zu sprechen vermag und dem Publikum all das vermittelt, was in ihm steckt. Natürlich ist es jedem freigestellt, was er darin hören möchte, aber mir ist wichtig, dass er (der Klang) für mich stimmig ist.

Was bedeutet es Ihnen, der meistgestreamte, klassische Musiker aller Zeit zu sein?
Ich denke nicht zu sehr an die Zahlen. Zu wissen, dass immer mehr Menschen meine Musik hören, motiviert mich jedoch zusätzlich, meine Arbeit immer besser zu machen und nur das zu tun, wovon ich gänzlich überzeugt bin. Der Erfolg ändert aber nichts an meiner Leidenschaft, den Zielen, die ich verfolge, und der Beurteilung meiner Arbeit. Ich bin da sehr kritisch und gebe mich nicht schnell zufrieden.

Ludovico Einaudi wurde am 23. November 1955 in Turin in eine einflussreiche Familie hinein geboren. Ein Grossvater war Staatspräsident von Italien, der andere Komponist und Dirigent, der Vater Verleger. Ludovico lernte schon früh, Klavier zu spielen, ging aufs Konservatorium und begann dann Bühnen- und Filmmusik zu schreiben sowie mit minimalistischen, von Philip Glass und Erik Satie inspirierten Solo-Klavierprogrammen aufzutreten. Sein bekanntester Soundtrack ist die Musik zum Kinohit «Ziemlich beste Freunde». Sein aktuelles Album «Underwater» (Universal Music) enthält zwölf meditative Piano-Instrumentalstücke.

 

Photos Copyrights: Ray Tarantino / Universal Music

Das Universum schweigt!

Anschauungen eines Katers

Wie immer, wenn in meinem Leben etwas so gar nicht im Lot ist, sitze ich am Fenster unserer noblen Luxusliegenschaft und starre fragend in den Sternenhimmel. Was ist mit der Welt los? Was geht hier ab? Doch ausser einem atemberaubenden Sternenrausch hat das Himmelszelt keine Antwort auf die Fragen eines Sinn suchenden Katers.

Wer versalzt mir die Suppe und hinterlässt bittere Geschmacksnoten in meinem bisher so privilegierten Leben. Wo ist das schöne, unbeschwerte Leben geblieben? Wo? Die Menschheit ist gespalten in Gut und Böse, Schwarz und Weiss, laut und stumm, Arbeitswillige und -suchende, Raser:innen und Bremser:innen, Impfbefürworter:innen und -gegner:innen. Es gibt kein Dazwischen mehr, es fehlen die Schattierungen, die Zwischentöne. Kann man sie überhaupt noch erkennen, die Grautöne in unserer Gesellschaft? Seit zwei Jahren zwingt uns eine Pandemie in die Knie, die Wirtschaft liegt am Boden und erholt sich nur langsam. Nach wie vor bestimmen Viren und immer noch Masken, mit zwischenzeitlich nervenden Regeln und menschlichen Tragödien, unseren Alltag. Politikverdrossenheit greift um sich. Ein Skandal jagt den anderen. Das Vertrauen in unsere Volksvertreter ist nahezu bei null, wenn die Um- fragen nicht stimmen, werden sie frisiert, verbogen oder mit falschen Bewertungen verschönert. Urwälder brennen, die Weltmeere ersticken im Plastikmüll, die Polkappen schmelzen und täglich sterben über hundert Tierarten unwiederbringlich aus, weil Profit- und Machtgier um sich greifen.

Was ist mit der Menschheit passiert? Was war der Auslöser? Welches Chromosom fehlt? Die Welt wird untergehen, wenn der Menschheit das Vertrauen fehlt, dass sie auch morgen noch lebenswert ist. Wie können wir die Kurve kratzen und was hält die Welt wirklich noch am Laufen und was bringt den Puls wieder zum Schlagen? Ich suche in den Himmel starrend nach Antworten, aber das Universum schweigt. Stille. Pure Stille. Plötzlich nehme ich im Garten ein zartes Rascheln wahr. Ich sehe einen magischen Schatten an der Mauer, der schnell aus meinem Augenkegel verschwindet. Leises, vorsichtiges Vorantasten im herbstlich feuchten Laub. Fast schon glaube ich, dass ich mich geirrt habe, da dringt ein sanfter, aber unglaublich betörender Duft zu meiner Nase empor und steigert sich zu einem Geruchsorkan, der eindeutig und doch schwer zuordenbar ist. Meine Schnurrhaare vibrieren, meine Lauscher sind auf Empfang gestellt, der Schwanz peitscht unaufhörlich hin und her. Was passiert hier? Ich bin hellwach und doch einer betörenden Ohnmacht nahe. Ist das die Antwort des Universums oder ein Zeichen vom Kosmos? Da kriecht langsam der Mond über die Dachkante und ein Lichtstrahl fällt in den nächtlichen Garten. Dann sehe ich sie. Sie sitzt wie eine Madonna aufrecht auf der Steinmauer, elegant, engelsgleich und gar nicht versteckt, im Lichtkegel des Mondes. Unerträglich langsam dreht sie den Kopf und sieht mich mit einem sanften Augenaufschlag direkt an. Ihr Blick hält mir stand. Sie erhebt sich und dreht sich langsam zur Dunkelheit des Gartens. «Nein nicht weggehen», schreit jede Faser meines Körpers, doch meine Stimme bleibt stumm. Sie dreht sich noch einmal um, blickt herausfordernd und in Sekundenbruchteilen ist der Spuk vorbei. Wie ein Bann fällt die Schockstarre von mir ab. Ich strecke meinen Kopf durch die Katzenklappe der Terrassentür, daraus wird ein kühner, aber eleganter Hechtsprung, tauche in die Finsternis ein und folge der Duftspur, die mir den Weg zum einzigen weist, was die Welt weiterdrehen lässt. Nämlich Liebe. Vielleicht wird die Welt untergehen – irgendwann – aber heute Nacht noch nicht! Miauuuu!

*) In meinen Erzählungen spreche ich natürlich alle Geschlechter an (m/d/w).

 

Illustrationen Copyrights: Adam´s Tomcat, Manuela Dona

Clueso

„Ich finde es hier sehr geil.“ Clueso beim Einchecken im „Hotel California“

Popstar Clueso (41), der durch seine Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg und den Fantastischen Vier einem breiten Publikum bekannt wurde, über sein James-Bond-„Album“, das Formatieren seiner Festplatte, seinen Blick auf Zürich und die Vorliebe fürs Chillen in der Badewanne.

Sie bezeichnen «Album» als das Resultat Ihrer Ambition, einen eigenen James Bond zu machen. Welcher Hauptdarsteller war Ihr Favorit, bevor Sie kamen?
(Lacht) Ich wollte mit dieser Ansage ausdrücken, dass ich einen musikalischen Blockbuster machen wollte, der – wie ein Bond-Film – für jeden Geschmack etwas zu bieten hat. Ich finde Sean Connery immer noch den Coolsten aller Bonds. Roger Moore war auch cool, aber er hatte immer etwas von einem Opi, der Girls «begrabscht». In den alten Bond-Streifen gab es noch andere Sachen, die heute NoGos wären.

Welches sind die Action- und welches die Liebesszenen auf «Album»?
Da muss ich erstmal drüber nachdenken… «Leider Berlin» und «Flugmodus» sorgen für Action. Wir haben gerade das grösste Live-Konzert in Deutschland gespielt, 7’000 Leute waren da. Ohne Maske. 2G oder 3G? Ich weiss immer nicht, was was ist. (Lacht) Jedenfalls habe ich dort gemerkt, dass die Songs tierisch abgehen. Die Liebesszenen fangen mit «Sehnsucht …» an. Ich finde es eine schöne Geschichte, dass man beim Chatten über eine App ein Gefühl erzeugen kann, obwohl sämtliche Sinne aussen vor sind. Aber so verknallt man sich 2021. Der heftigste Moment ist «Alles zu seiner Zeit». Ich habe den Song zwar selber geschrieben, kann aber nicht sagen, wann mir was passiert ist. Ich habe für den Text auch nur zwanzig Minuten gebraucht.

Viele Hits werden schnell geschrieben …
Das ist eine Legende, aber sie stimmt! Nachher schaute ich an die Wand und dachte: «Cool, dass ich dabei war!» (Schmunzelt) Wenn ich das Lied jetzt singe, sind die Leute total Ohr. Ich mag das sehr. Es ist die einzige elegische Ballade auf dem Album. Die Frage «Was wäre, wenn …» beschäftigt mich, weil ich in meinem Beruf so viele Menschen kennenlerne. Jeder könnte ein Freund oder Freundin werden.

Mit «Flugmodus» und «37 Grad im Paradies», den ersten Songs des Albums, hebt man ab. «Hotel California» handelt dann wie der gleichnamige EaglesTitel eher von der dunklen Seite des amerikanischen Traums.
Das entspricht dem, was ich im Musikbusiness erlebt habe, seitdem ich 19 bin und einen Plattendeal erhielt. Ich habe alles angeboten bekommen, was es an Betäubungs- und Aufputschmitteln so gibt, auch von Leuten, die wohl dachten: «Jetzt mach ich mal den Clüsen platt!» (Lacht) Glücklicherweise habe ich als Kind mal Tabletten gefunden und gefressen. Danach ging’s mir so mies, dass ich von allem die Finger gelassen habe, ausser vom Kiffen und vom Alkohol.

Ab und zu die Festplatte neu zu formatieren, nehme ich mir sogar vor. Sonst habe ich jedoch immer die Kontrolle behalten.

Alles andere könnte einem ja auch die Karriere kosten, oder mehr.
Grundsätzlich finde ich jedoch beides faszinierend: Wenn jemand verbrennt wie Jim Morrison und wenn jemand mit sich im Einklang ist wie Sting. In Los Angeles bin ich in Studios gekommen, wo zwanzig Rapper in den Gesangskabinen hingen und auf dem Tisch vierzig Hustensaftflaschen standen. Die Typen waren kaum ansprechbar. Hauptsächlich geht es in dem Lied jedoch darum, dass es, wenn man angeschossen ist, etwa nach dem Ende einer Beziehung, ein bisschen Zerstreuung braucht. Dann checkt man im «Hotel California» ein.

In «Punkt und Komma» realisieren Sie in der Ferne, dass Ihre Liebesgeschichte zu Hause auserzählt ist. In «Alles zu seiner Zeit» singen Sie, dass Sie noch kein Liebeslied geschrieben haben, das gut ausgeht». Wie gehen Sie damit um?
Ich bin viel unterwegs und meine erste Liebe ist die Musik. Das ist schon mal schwierig. Ich verstehe aber, dass es die Leute wahnsinnig interessiert, was in meinem Privatleben passiert. Ich versuche es jedoch zu schützen. Ich rede wenig darüber, verarbeite es lieber in meinen Liedern. Die Besten sind meistens autobiografisch, weil einen das Erzählte dann am stärksten berührt. Ausserdem finde ich Beziehungen, die nicht funktionieren, interessanter. Beim Musikmachen liebe ich die Melancholie extrem!

Sie geben am 31. Januar 2022 ein Konzert im Volkshaus. Wie gut kennen Sie Zürich?
Ein bisschen. Ich muss immer noch rumgeführt werden. Die ersten Konzerte gab ich im Kaufleuten. Wir waren sehr hin- und hergerissen, weil wir eine sehr alternative Clique waren und mit dem Schickimicki von Zürich erst mal klarkommen mussten. Dann hat man uns die Club-Szene gezeigt, die uns als Thüringer doch ein wenig überrascht hat. Das ist nun bestimmt 15 Jahre her. Ich finde es hier sehr geil und habe es mir zum Ende meiner Promotour eingerichtet, dass ich zwei, drei Tage anhängen und ein bisschen am See spazieren gehen konnte. Ich hatte es nötig, denn die Monate zuvor waren Schraubstock.

Wie geniessen Sie Ihre Freizeit sonst noch?
Wenn ich im Hotelzimmer eine Badewanne sehe, muss ich mich da reinlegen. Es kann auch morgens sein! Dann schalte ich alte Serien ein wie «Star Trek», wo es mir nur um die Stimmung geht und ich nicht hingucken muss, oder ich lasse Musik laufen. Ich gehe auch gerne in die Sauna. Ich habe mir sogar eine ins Studio einbauen lassen, da es mir peinlich ist, wenn Leute mich erkennen und «Cello» hinterherrufen. Oder ich nehme eine Gitarre und dudle vor mich hin. Für niemanden. Die Musik verliert sich im Nichts. Das ist pure Entspannung.

Fotos: Sony Music

Zero Waste

Nachhaltigkeit im Futternapf

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie nachhaltig der Besitz einer Katze ist? Nein? Ich auch nicht. Es ist mir einfach Schnurz-piep-egal! Weil es für mich einfach nicht in Frage kommt, einer Katze in unserem gediegenen Männerhaushalt Zutritt zu gestatten.

Im Moment ist das Halten eines Haustieres ja grad zum Volkssport mutiert. Denkt denn keiner auch nur eine Sekunde an die Folgen? Jetzt sitzen Mama, Papa und Kind(er) schon im Homeoffice und mit Homeschooling in der Wohnung fest und dann holen sie sich auch noch ein haarendes, ständig fressendes und alles zerkratzendes Katzenvieh in ihr intimes Universum.

Ja, und wer bekommt das Tier nach einer Trennung? Wegen Haustieren sind schon Kriege ausgetragen worden, denn sobald die Liebe schwindet, stürzt sich jeder auf das Verbliebene, um sich am Partner zu rächen. Da kommt einem halbwegs intelligenten Kriegsherrn, ein so emotionales Beutestück wie eine Katze doch gerade recht. Wie ich sage, es wird nicht an die Folgen gedacht. Nur aus einer Laune heraus werden Haustiere gehortet. Die Menschheit leidet offensichtlich nicht nur unter der Corona-Pandemie, sondern auch an einer extrem ansteckenden Amnesie-Mutation.

Aber ich schweife ab.  Auch wenn die positive Ökobilanz einer Katze mich nie betreffen wird, hatte ich vor kurzem mit Adam, meinem Dosenöffner, eine hitzige Diskussion über Katzenfutter-Alutassen. Ich hasse diese Dinger. Dieses eklige Zeug würde ich meinem durchtrainierten Body nie zumuten, ich bleibe da lieber bei meinem frischen Lachs und dem gut gereiften Dry-Aged-Beef, aber auch ich habe schon einmal an so einer Dose gerochen und abgesehen vom erbärmlichen Gestank, kann eine Alutasse einfach nicht nachhaltig sein. Zero Waste ist doch angeblich der Trend der Saison und selbst dem Dummsten ist klar, dass Alutassen, Blechdosen, Katzenstreu, Nerzshampoo, Fellmäuse alles andere als Zero Waste sind. An das Monstrum Katzenklo will ich gar nicht denken – Igitt!!!

Und Kratzbäume? Ich kriege Krallenpest, wenn ich an die mehrere Quadratmeter verschlingenden Konstrukte aus Sisalschnur-umwickelten und mit Flauschteppich überzogenen Monstren denke, die in den Wohnzimmern errichtet werden, während die Katze im Bett, dem Wäschekorb oder im Amazon-Karton ihr Nickerchen hält und sich die Krallen am Wohnzimmersessel oder der Seidentapete schärft.

Nein, die Welt muss aufwachen und vor diesen sinnlosen Geld- und Ressourcenfressenden Monstern und der dazugehörenden Industrie geschützt werden!

Genau so dachte ich vor 2 Stunden noch, da kam Adam mit der kleinen Kitty auf dem Arm in unsere Tip-Top-gepflegte Upperclass-Villa. Kaum hatten die zarten Pfötchen des 12 Wochen alten, zuckersüssen Fellknäuels den Boden betreten, wirbelte sie wie ein Tsunami unseren gemächlichen Männerhaushalt durcheinander und brachte meine erstrittene Meinung über die Nachhaltigkeit von Katzen fulminant zum Einsturz. Nur ein Kater mit einem Herz aus Stein hätte solchen treuherzigen Augen widerstehen können? Nun mache ich grad Platz in den Schränken für eine Armada an Leckerlis, Katzenbabymilch und Spielzeug. Da fällt mir ein, ich muss den Tischler wegen des Kratzbaums anrufen!

Leute, vergesst nie – Nachhaltigkeit geht uns alle an!

Illustrationen Copyrights: Adam´s Tomcat, Manuela Dona

Side Notes

Skorpione können 200 mal mehr RADIOAKTIVITÄT ertragen als Menschen.

Las Vegas verbraucht SO VIEL STROM wie das gesamte Land PERU!

Der Grönlandhai (auch Eishai genannt) ist das Wirbeltier mit der höchsten Lebenserwartung. Er kann schätzungsweise bis zu 400 Jahre alt werden. Im Tierreich wird dieses hohe Alter nur durch die Islandmuschel (über 500 Jahre alt) und der antarktische Riesenschwamm (ca. 10.000 Jahre alt) übertroffen.

„Der Yellofier ist einer meiner besten Freunde“

Seit rund vierzig Jahren stehen der akribische Studio-Perfektionist Boris Blank und der geniale Improvisations-Bohemien Dieter Meier für elektronische Soundlandschaften mit Charme und Charisma. Mit ADAM The Magazine sprachen die beiden Yello-Charaktere über die ersten Konzerte, den Kollaps des Kapitalismus und ihr knackiges Album „Point“.

Sie nennen Ihr aktuelles Album „Point“ – und nicht „Comma“. Machen Sie nach 41 Jahren einen Punkt hinter die Karriere von Yello?
Dieter Meier: Nein, für mich ist es The Point of Yello. Wie ein Scheinwerfer, fokussiert auf Yello.
Boris Blank: Oder The Point of no return. Wir sind an einem Punkt, wo wir nicht mehr zurückkönnen. Es geht immer weiter.

Wie sind Sie auf „Point“ gekommen?
Blank: Wir haben immer Dutzende von Ideen für einen Albumtitel. Die Wahl ist ein sehr schwieriger Prozess. Er darf nicht blöd klingen und muss Swing drin haben. Dieter hat mich aus Buenos Aires angerufen und gefragt: „Boris, hast du Zeit? Ich habe einen Titel für das Album: Point Yello“ (schnippt mit den Fingern). Und ich sagte: „That’s it. Der klingt.“ Es gibt Brennpunkte, Mittelpunkte und Treffpunkte – und nun gibt es auch den Yello-Punkt.

Ist diese Einigkeit typisch für Yello?
Meier: Wir diskutieren viel, sind aber keine Eigenbrödler, sondern erpicht, einen Konsens zu finden. In allem! Sonst könnte man das gar nicht machen, über vierzig Jahre lang.
Blank: Wenn es mal Reibereien gibt, nutzen wir unsere Erfahrungswerte, um sie frühzeitig abzufedern. Zum Schluss einigen wir uns immer auf etwas, das geil ist, an dem wir beide Freude haben. Das war zwar früher schon so, aber jetzt ist vielleicht etwas Altersmilde dazugekommen.

Ist die klare Aufgabenteilung bei Yello ein Vorteil?
Meier: Es geht nur so. Boris liebt es, jahrelang im Studio zu tüfteln und an fünfzig Klangbildern gleichzeitig zu malen. Ich habe sehr viele andere Sachen am Laufen und deswegen kein Problem damit, wenn ich mal dreieinhalb Jahre nichts von ihm höre. (schmunzelt)

Sind Sie nicht neugierig?
Meier: Schon, aber es ist ganz gefährlich, in einen laufenden Prozess reinzuhören und reinzureden, denn es könnte deinen Partner in seinem schöpferischen Akt verunsichern, bei dem er sich eh auf einem unbekannten Terrain vorantastet. Aus diesem Grund ist es für mich immer ein magischer Moment, wenn ich zugelassen werde. Speziell ist bei uns auch, dass ich in den letzten vier Jahren nur etwa 6 Wochen im Studio war und Boris vielleicht 220 … Das ist der kleine Unterschied.

„Point“ ist das erste Album, seitdem Yello Konzerte gegeben hat. Hat Sie diese Live-Erfahrung inspiriert?
Blank: Überhaupt nicht! Wie Dieter schon sagte, bei mir liegen Dutzende von Stücken halbfertig herum. Sie warten schon lange nur darauf, animiert oder reanimiert zu werden.

Sie sollen aber gesagt haben, dass Sie schon früher aufgetreten wären, wenn Sie gewusst hätten, wie viel Spass das macht?
Blank: Wir haben die Konzerte jetzt gegeben, weil wir dachten, man muss das machen, solange man jung ist. Yello ist eine junge Live-Band. Wir haben noch sehr viel vor. Vielleicht sogar eine richtige Tournee, bei der keine Instrumente mehr auf der Bühne stehen werden, wir aber ein audiovisuelles 360-Grad-Rundumerlebnis bieten. Viele haben eh gesagt, eigentlich müsst ihr gar nicht so viele Musiker auf der Bühne haben. Es reicht, wenn ihr dort steht. Ich wollte jedoch bei unserer Premiere keinen Fake wie bei den Pet Shop Boys, wo Chris Lowe mit seinem Laptop nur so tat, als würde er Musik machen. Die Leute sollten unsere Bläser erleben. Ich kann mir aber auch andere Konzepte vorstellen.

Das klingt sehr analytisch und kontrolliert. Welche Emotionen haben Sie erlebt?
Blank: Es hat sehr lange gedauert, bis Dieter einen Eremiten wie mich motivieren konnte, sich aus seiner Klause heraus auf eine Bühne zu wagen. Ich fürchtete, dass wir etwas vorgeben, was wir nicht sind. Beim ersten Konzert haben mir noch die Knie geschlottert, doch dann spürte ich, wie wohl sich Dieter auf der Bühne fühlt und wie die Leute uns mögen. Diese positive Energie hat mich extrem beeindruckt.
Meier: Wenn ich mit meiner Band Out of Chaos auf die Bühne gegangen bin, ist der Name Programm. Da habe ich viel mehr Freiheiten. Da kann ich einen Refrain zweimal singen und die Musiker darauf reagieren. Bei Yello ist alles auf die Zehntelsekunde ausgemessen. Du kannst nicht improvisieren, nichts ist spontan. Das hat auch seinen Reiz, aber ich hoffe, dass wir auf der nächsten Tournee spontaner werden können. Der Yellofier, diese wundervolle App, die Boris erfunden hat und selbst Laien ermöglicht, faszinierende Stücke zu komponieren, kann auch uns beflügeln.

Wie ist die fröhliche Single „Waba Duba“ entstanden?
Blank: Da war tatsächlich der Yellofier mit im Spiel. Er ist einer meiner besten Freunde. Ich habe ihn immer bei mir. Wenn ich mit dem Hund im Wald unterwegs bin, experimentiere ich mit den Vokalen und nehme das gleich auf. Ich kann da witzige Zufallsgeneratoren verwenden. Bei „Out Of Sight“ habe ich aufgenommen, wie meine Frau Patrizia in der Küche beim Kochen geschwärmt hat: „Che belle, belle, belle!“

Täusche ich mich oder gibt es in „Waba Duba“ ein „The Race“-Zitat?
Blank: Das höre ich nicht zum ersten Mal. Das Bariton-Saxophon ist einer der signifikantesten Sounds im Repertoire von Yello. Ich verwende ihn öfters, weil ich ihn unheimlich mag.

„Way Down“ klingt ungewohnt entspannt, swingend und funky zugleich …
Blank: Ja, dieser Electro-Reggae hat wirklich viele Einflüsse. Ich weiss auch nicht weshalb. Als ich Dieter die Demoversion schickte, meinte er, wir müssten nur noch seine Vocals aufnehmen, da meine Stimme allein zu dünn ist. Die Texte sind total dadaistisch.
Wie heisst es noch darin? „Bring that beef back home“?
Meier: Was singst du da? „Bring that beat back home!“ (sie amüsieren sich)

Das flirrende, hypnotische Gegenstück ist „Insane“. Eine Hymne auf die Verrücktheit?
(Beide äussern, dass sie nicht wissen, um welchen der zwölf Songs es sich dabei handelt)
Blank: Dieter weiss eben auch nicht immer, was er singt. Er hat eine schöne Formulierung dafür: „Die Inspiration fliegt mir zu, und wenn der Song aufgenommen ist, fliegt sie weiter.“

Wie wichtig sind die Sehnsucht nach grosser Liebe und heisser Erotik als Triebfeder Ihres musikalischen Schaffens?
Meier: Wo sehen Sie Erotik?

In „Hot Pan“ …
Blank: Aha.
Meier: Interessant. Das habe ich überhaupt nicht so gesehen.
Blank: Haben Sie einen Psychiater? (sie lachen)

Der Song hat einen pulsierenden Rhythmus und Sie singen von „hardcore“ und „shakin’ my body upside down“. Überbordet da wirklich meine Phantasie?
Blank: Überhaupt nicht. Manchmal schreiben Kritiker – ich weiss nicht, ob das Frauen sind – was für eine erotische Stimme Dieter hätte. Jemand schrieb gar, man würde schwanger, wenn man ihn hören würde.
Meier: Ist das wahr???

Haben Sie nie Musik gemacht, um Frauen zu gefallen?
Meier: Nein, nein, nein! Das war nie unser Impuls und wir hatten auch nie Groupies.

Dafür haben Sie beide so lange Beziehungen wie nur wenige Stars im Musikbusiness. Was ist Ihr „Geheimnis“?
Meier: Unsere Frauen haben ihre eigenen Ideen und erfüllen sie sich selbst. Selbstständigkeit muss gewährleistet sein. Wenn meine Frau und ich uns sehen, haben wir viel zu erzählen. Dieser Austausch ist sehr bereichernd.

Wollen Sie sich in Zukunft mehr Zeit nehmen, um Dinge mit Ihren Partnerinnen gemeinsam zu tun?
Meier: Ich nicht. Ich entwickle Sachen mit anderen Leuten, aber ich habe unendlich viel Zeit. Was ich mache, landwirtschaftlich oder önologisch, ist für mich ein Vergnügen. Daher habe ich keinen Stress. Und meine Frau hat die Verantwortung für ihre Firma enSoie unseren drei Töchtern übergeben und sich fast ganz ins Privatleben zurückgezogen.

Wagen Sie als musikalische Visionäre auch eine Prognose, an welchem „Point“ von Corona wir stehen und wohin uns die Entwicklung noch führen wird?
Meier: Ich bin davon überzeugt, dass sich die Welt – wenn das Problem medizinisch gelöst ist, und das scheint kein Hexenwerk zu sein – wieder wie vorher drehen wird. Und das wäre nicht nur gut. Der kapitalistische Irrsinn wird weitergehen.
Blank: Das hoffe ich nicht!
Meier: Ich auch nicht, aber der einzige Zweck des Systems ist die Rentabilität des Kapitals. Die Verbrennung von Öl und Kohle hat schlimme Folgen, die Verschmutzung der Meere und der rücksichtslose Umgang mit Tieren. Hinzu kommen die Milliarden-Schulden, welche die Staaten angehäuft haben. Da steht uns ein totaler Kollaps bevor. Das System wird sich aber erst ändern, wenn wir keine Luft mehr bekommen.

Yello wurde 1979 vom avantgardistischen Sprachkünstler Dieter Meier (Gesang) und den Techno-Pionieren Boris Blank und Carlos Péron (Synthesizer) gegründet. Mit der Single „Bostich“ hatten die Zürcher sogar in New York einen Club-Hit. Als Duo starteten sie ihre erfolgreichste Zeit mit dem vierten Album „Stella“ sowie den Auskoppelungen „Desire“ und „Vicious Games“. Ende der Achtzigerjahre folgten ihre Gänsehaut-Ballade „The Rhythm Divine“ mit Gastsängerin Shirley Bassey und das ikonographische „The Race“. Da Soundtüftler Blank lange bezweifelte, dass sich seine Musik live adäquat reproduzieren lässt, gibt Yello erst seit 2016 Konzerte. Das aktuelle Album „Point“ trägt die unverwechselbare Handschrift der beiden Technolegenden. Die Songs sind unkonventionell und der Sound ist brillant.

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